Totenblick: Thriller (German Edition)
Elternleben deutlich stressfreier.
Nach einem kurzen Rundumblick entschied er sich, durch die Emil-Fuchs-Straße zum Rosental zu gehen, um es dem Mörder scheinbar möglichst leicht zu machen. Auf einen Schirm verzichtete er.
Hammer lief los und tat unbeteiligt und unaufmerksam.
Unterwegs erstand er ein belegtes Brötchen und aß es ohne Genuss, ging weiter und wählte die dunkelsten und verlassensten Wege am Parkrand.
Der Regen hatte nicht nachgelassen, lief in den Kragen des jungen Mannes und durchnässte ihn. Dank des Adrenalins spürte Hammer im Moment weder Angst noch Schuld, sondern wartete ungeduldig darauf, dass sich der Verrückte näherte.
Zweimal dachte der Polizeimeister, er würde verfolgt, aber die Menschen wechselten dann doch irgendwann die Richtung oder bogen ab.
Mehr geschah nicht.
Nach zwei Stunden kehrte er frustriert und ausgekühlt nach Hause zurück. Achtsam sperrte er auf, lauschte … aber es tat sich nichts. Er war allein.
Um sich ein wenig aufzuwärmen, ging Hammer ins Bad und stellte die Dusche an.
Aufgeben würde er nach dem heutigen Misserfolg nicht. Jeden Tag, das beschloss er, würde er seine Köderrunden drehen, bis entweder der Mörder anbeißen oder Rhode ihn schnappen würde.
Früher hatte er die Glaswände der Kabine nie gemocht, heute freute er sich darüber. Der Mörder würde nicht unbemerkt wie in Psycho an ihn heranschleichen. Er nahm sogar die Pistole mit und deponierte sie griffbereit, aber geschützt vor dem Wasserstrahl. Die Tür ließ er angelehnt, um besser hören zu können, falls sich was im Haus tat.
Er duschte ausgiebig und benutzte dabei das Öl seiner Frau, weil er keine Lust hatte, nochmals hinauszusteigen und seine Seife zu holen.
Der Geruch erinnerte ihn an sie, und er beruhigte sich etwas. Doch die generelle Anspannung blieb. Weder der Regen noch das warme Wasser noch die inneren Bilder von Frau und Kindern halfen. Was ihm Auftrieb gab, war die Aussicht, den Mörder anzulocken und zur Strecke zu bringen. Die P 10 hatte dreizehn Schuss, und er würde sie alle abfeuern.
Seine Hände begannen stärker zu zittern. Es wurde Zeit für eine neue Pille.
Hammer drehte die Dusche ab und wollte sie verlassen.
Von draußen erklang das Zuschlagen eines Fensters. Ein kühler Windhauch strich durch die offene Tür ins Bad und verursachte ihm eine Gänsehaut.
Langsam streckte der Polizeimeister den Arm aus und griff die Pistole, entsicherte sie und wartete.
Doch das Geräusch wiederholte sich nicht.
Behutsam schob Hammer den rechten Fuß über den niedrigen Rand der Dusche. Unvermittelt rutschte sein linker Fuß in einem winzigen Tropfen des Öls am Boden weg.
Der junge Mann verlor das Gleichgewicht, ruderte mit den Armen und knallte mit der Schläfe gegen den Türrahmen. Gerade noch konnte er es verhindern, dabei den Abzug zu drücken.
Schmerzen spürte er dank der vielen Tabletten nicht, aber er spürte, wie etwas Warmes an seinem Gesicht hinablief. Das konnte nur sein Blut sein, das sich in einem roten Strahl auf die weißen Fliesen ergoss. Die verdünnende Wirkung seiner Medikamente wirkte sich verheerend aus. Er brauchte dringend einen Krankenwagen!
Leicht benommen glitt Hammer in seinem Blut seitlich weg, krachte gegen die angelehnte Tür und stürzte – genau mit dem linken Auge auf die hochgestellte Türklinke.
Wie in Zeitlupe konnte er sie auf sich zukommen sehen, doch es geschah in Wirklichkeit mit solcher Geschwindigkeit, dass er nicht mal mehr schreien konnte.
Das Metallstück bohrte sich durch den Augapfel in seinen Schädel und drang tief in die Hirnmasse ein.
Erneut blieb der Schmerz aus.
Hammers Körper erschlaffte. Er hing mit dem Kopf am Türgriff, was ihn davor bewahrte, auf den Boden zu knallen. Nur die P 10 fiel polternd auf die Fliesen.
Der Polizeimeister schnaufte einmal, sah sein Blut unvermindert aus der Platzwunde neben seine Knie strömen, und wunderte sich, dass er denken konnte. Er erinnerte sich abstruserweise an den Bauarbeiter mit der Stahlstange im Kopf, der den Unfall nahezu unbeschadet überlebt hatte.
Hammer wollte aufstehen und den Notruf wählen, aber sein Körper tat nichts, außer zu bluten.
Zu bluten.
Und zu bluten …
***
Kapitel 4
Leipzig, Zentrum, 7. November
P eter Rhode saß im Freien vor einer weniger gut besuchten Bar in der engen Kleinen Fleischergasse, die zum sogenannten Drallewatsch gehörte, jenem bekannten Vergnügungsgürtel mit verschiedensten Kneipen und Restaurants. Abgesehen von
Weitere Kostenlose Bücher