Totenblick: Thriller (German Edition)
Bauplan auf.
Ihre Furcht stieg bei ihrer nächsten Entdeckung: Ein chirurgisches Besteck wartete ebenso auf der nahen Anrichte wie Glasspritzen und eine Batterie von Ampullen.
Ein leises Zischeln ließ sie nach links schauen. In einem Terrarium wand sich eine Schlange unter einer Wärmelampe. Das Reptil wirkte nicht besonders spektakulär.
»Sie ist für dich, meine Königin«, kommentierte der Mann von der Anrichte aus und wählte eine der Spritzen. »Eine noch junge, giftige Ringhalskobra, eigens dir zu Ehren aus dem Zoo gestohlen. Ich werde sie noch ein wenig modifizieren müssen, doch sie kommt der Vorlage am nächsten. Die Legende berichtet von einer Königskobra, doch das würde von der Größe niemals passen. Aber ich bin flexibel.« Er tippte sich mit der Spitze gegen die Maske. »Ich kann das.«
Aileens Mund wurde trocken, die Angst war kaum mehr zu ertragen. Ihr Herz schmerzte bei jedem Schlag. »Bitte!«, flehte sie schluchzend und sah mit an, wie er die erste Spritze aufzog. »For heaven’s sake! Was … ist das?«
»Propofol. Ein sehr wirksames Schlafmittel. Ich benutze es jedoch in sehr schwacher Dosierung. Du sollst nur leicht dösen und nicht herumschreien, wenn wir an den Ort deiner Krönung fahren.« Der Maskierte legte die vollgesogene Spritze weg und lud eine zweite. »Das ist Remifentanil. Gegen die möglichen Schmerzen.«
Aileen versuchte zu verstehen, was er mit ihr vorhatte, doch warum sollte er ihr erst die Injektion setzen und sie danach von der Kobra beißen lassen? Damit sie möglichst lange gegen das Gift durchhielt? War sie in die Hände eines perversen Sadisten gefallen, der sich am langen Leiden erfreute? War das der große Moment?
»Nein«, wimmerte sie und rüttelte an den Fesseln, aber die Lederriemen waren zu fest. »Bitte, nein!«
»Ich habe sie selbst gebaut. Die Polsterung auch. Deine Handgelenke sollen keine hässlichen Ränder und blauen Flecke bekommen«, flüsterte er stolz auf Hochdeutsch und näherte sich mit den Spritzen. »Welche möchtest du zuerst: gegen die Schmerzen oder zum Dösen?«
»Gar keine«, keuchte Aileen hektisch. »Ich will gar keine, you sucker!«
Das große Auge der Maske schien sie zu betrachten. »Ich denke, ich fange mit Propofol an. Du wirkst doch sehr aufgewühlt, was ich auch verstehen kann.« Die junge Schottin schrie vor Schmerz und Entsetzen, als er die Nadel nicht in eine Vene senkte, sondern sie bis zum Anschlag in ihre rechte Brustwarze stach.
Das Beruhigungsmittel jagte mit Druck in ihren Körper, es brannte wie Feuer.
»Auf diese Weise dauert es zwar länger, bis es wirkt, sagte man mir, aber ich möchte einfach keine Einstichlöcher in deiner schönen, hellen Haut«, lautete die Erklärung ihres Peinigers, der die Spritzen tauschte und in die andere Brustwarze das Remifentanil injizierte.
»Oh god«, schluchzte Aileen, »oh god! Please!« Sie fühlte sich benebelt, und die Schmerzen in ihren Brüsten ließen bald nach. Es dauerte, bis die Mittel in ihren Kreislauf gelangten, aber dann setzte die Wirkung schnell ein. Ihr Wimmern wurde leiser, sie entspannte sich.
»Sehr schön, meine Königin«, wisperte der Maskierte. »Eine Sache noch, und wir haben es bald geschafft. Dann können wir aufbrechen.«
Aileen spürte seinen Daumen und Zeigefinger, mit denen er ihr rechtes Lid weit auseinanderzog. Mit der anderen Hand hielt er eine Pipette und ließ mehrere Tropfen auf die Pupille regnen. Es brannte kaum. Aileen musste blinzeln, als er das Lid freigab.
Die Prozedur wiederholte sich auf der linken Seite, und der Raum schien von selbst heller und heller zu werden.
»Was ist …?«, murmelte sie.
»Atropin, meine Königin. Das weitet deine Pupillen zu einer enormen Größe. Ich möchte nämlich, dass du einen unwiderstehlichen Totenblick aufweist, wenn man dich findet. Wie es sich für eine Herrscherin gebührt.«
Aileen wollte es zwar nicht, doch sie glitt mehr und mehr in einen Dämmerzustand. Das Summen des Gebläses beruhigte sie, die warme Luft umspielte ihren Körper wohlig.
Die junge Schottin seufzte und dachte an Glenfarg.
An ihren Verlobten Ian.
An die wundervolle Landschaft, die sie niemals mehr sehen würde.
Sie weinte dabei verzweifelte Tränen, ohne es zu merken.
***
Kapitel 5
Leipzig, Dresdner Straße, 9. November
R hode wusste gar nicht mehr, wann er zum letzten Mal mit Blaulicht, Sirene und erhöhter Geschwindigkeit zu einem Einsatz gefahren war. Er saß hinterm Steuer des Passat Kombi und drückte
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