Totenblick: Thriller (German Edition)
Ihre hellrötlichen, teils geflochtenen, teils herabhängenden Haare bildeten einen Kontrast zur bleichen Haut und zum weißen Bettzeug. Schenkel und Intimbereich wurden von einem Laken bedeckt, die Fußsohlen schauten hervor.
Das Bett war an den Seiten und hinten eingerahmt von schweren roten Samtstoffbahnen, die dem Ganzen etwas von einer Theaterbühne verliehen und den Blick von selbst auf die Tote lenkten. Rhode musste an seinen Opernbesuch denken.
Ihr linker Arm hing lose, dabei doch sehr malerisch auf die Matratze; der andere war leicht angewinkelt und hielt eine Schlange in den Fingern. Das Tier rührte sich nicht. Den blutigen Doppelbissmalen nach hatte es das Mordopfer in die rechte Brust gebissen, rote Bluttropfen rannen aus den winzigen Löchern und sickerten über die weiße Haut.
Der Hauptkommissar musste kein Schlangenexperte sein, um zu erraten, dass es sich dabei um die gestohlene giftige Ringhalskobra aus dem Zoo handelte. Er bezweifelte allerdings, dass das Gift die Todesursache war.
Natürlich hatte die Tote die Augen weit geöffnet …
»Ich nehme an, du weißt, welches Bild wir hier sehen.« Rhode sah auf den Streifen durchsichtigen Klebebands um den Hals. Bett, Matratze, Laken, die Samtvorhänge, die komplette Einrichtung – alles musste Stück für Stück in die Glasgalerie geschafft worden sein. Nichts hatten der oder die Täter dem Zufall überlassen, wie beim ersten Mord. Rhodes Linke rieb wie verrückt den worry stone in seiner Manteltasche, um seine Hyperaktivität in Grenzen zu halten.
»Ja. Das ist Der Tod der Kleopatra «, antwortete Schwedt und reichte ihm ihr Smartphone. »Und zwar die zweite Version, gemalt 1648.«
Auf dem Display erschien das Original in erschreckend ähnlicher Weise. Es gab nur zwei Unterschiede: die geöffneten Augen und das Klebeband, das den Kopf daran hinderte, vom Hals zu fallen. Die Gerichtsmedizin würde wieder feststellen, dass das Tatwerkzeug eine schwere, scharfe Klinge sein musste.
Rhode ließ sich die Informationen zu dem Werk anzeigen, auch wenn er wusste, dass er sich in seinem Zustand kaum etwas davon lange merken konnte.
Gemalt worden war die Vorlage von Giovanni Francesco Barbieri, genannt Il Guercino, einem italienischen Maler des Barock. Sein Künstlername lautete »der Schieler« und bezog sich vermutlich auf ein Augenleiden. Es interessierte den Hauptkommissar nicht, dass der Italiener 106 Altarbilder und 144 weitere Gemälde geschaffen hatte. Er brauchte Infos zum Tod der Kleopatra . Also scrollte er umständlich.
Gemalt wurde diese zweite Variante im Jahr 1648, stand zu lesen. Guercino ließ sich auch von Vorzeichnungen für das frühere Gemälde anregen, auch viele der Requisiten aus der ersten Version sind zu sehen, wie die mit Leinen bezogene Matratze, die Kissen und die tiefen, kantigen Falten, die an beiden Seiten aus den Ecken herunterfallen.
»Gleichzeitig hat er jedoch eine vollkommen andere Atmosphäre geschaffen: Kleopatras erotische Wirkung wird betont, indem sie liegend statt sitzend dargestellt ist, wobei das prächtige Umfeld mit einer erweiterten Farbpalette und einem größeren Reichtum an Oberflächentexturen wiedergegeben ist«, las Rhode die Informationen aus dem Internet halblaut.
Erotische Wirkung. Ein Hohn, wenn man das Bild als Realumsetzung vor sich hatte.
»Gift?« Er sah auf die Schlange auf dem Bild, dann am Tatort. »Ob der Mörder sie auch zuerst vergiftete, bevor er sie enthauptete?«
Er sah genau hin: Das Tier bewegte sich nicht, züngelte auch nicht. Es hatte den Anschein, dass die Ringhalskobra zusammen mit der unbekannten jungen Frau gestorben war. Der oder die Täter hatten kein Interesse daran, sich einen lebensgefährlichen Biss einzuhandeln.
»Ich bin mir nicht sicher. Armin Wolke wurde auch zuerst enthauptet und bekam danach die Stichwunde zugefügt.« Schwedt betrachtete die Leiche. »Die Ähnlichkeit zwischen Vorlage und Opfer ist wieder verblüffend. Bei der Schlange hat er den Mittelweg beschritten.«
»Heißt was?«
»Der Legende nach brachte sich Kleopatra mit einer Königskobra um, was aber allgemein bezweifelt wird. Diese Viecher werden drei Meter und länger. Die Schlange auf dem Bild ist dagegen klein. Der Täter wollte aber wohl eine Kobra. Als Reminiszenz an den Mythos«, erklärte sie. Schwedt hatte sich in kürzester Zeit bestens vorbereitet. Schlau und engagiert. »Wir wissen nicht, wer die Tote ist, haben aber eine Beschreibung an die Zentrale …« Ihr Smartphone in
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