Totenblick: Thriller (German Edition)
Kleidung schritt an ihnen vorbei und bog auf einen Fußweg ein, den er zügig entlangmarschierte.
Das Gesicht hatte Ares nicht richtig sehen können, aber diesen Gang erkannte er. Auf der Rückseite der schwarzen Jeansjacke meinte er ein dunkelgraues Abzeichen aufgenäht gesehen zu haben, das in Leipzig nicht mehr getragen werden durfte, solange die Demons das Sagen hatten.
Stocksteif saß er da und beobachtete den Unbekannten.
»Papa? Was machst du denn?«
Das ist … er!
»Papa, es ist grün. Und hinter uns …«
Er wurde von hinten angehupt, was er ohne hinzuschauen mit dem ausgestreckten Mittelfinger quittierte; dabei verfolgte er weiter den Mann mit Blicken, bis er hinter einem Grüngürtel verschwand.
»Ich bin gleich wieder da. Pass auf, dass niemand Nancys Teilchen klaut.« Ares schaltete die Warnblinkanlage ein und sprang unter Protest seiner Tochter aus dem Smart.
Er brauchte Gewissheit.
***
Leipzig, Ostteil, 24. November
Anke Schwedt lag in weißer Spitzenpanty und BH auf der grünen Couch, ein Glas Rotwein auf dem Beistelltischchen und eine offene Tüte Chips auf dem flachen Bauch. Sie schaute fern, doch sie nahm nicht wahr, was der Apparat zeigte.
Ihre Gedanken kreisten um den Fall, um ihr Privatleben, dann wieder um den Fall.
Der Alkohol hätte der jungen Frau Entspannung bringen sollen, aber genau das Gegenteil war geschehen: Ihr Verstand fraß sich regelrecht fest und kreiste nur noch um diese Themen. Nach diesem Glas hatte sie die Flasche ganz allein geschafft. So war das nicht geplant –
Ihre grünblauen Augen richteten sich auf die Uhr am Sat-Receiver: 21.41 Uhr.
Dass sie ihre schickere Unterwäsche trug, hatte einen Grund. In zwanzig Minuten kam Freddy bei ihr in der Eilenburger Straße vorbei, und sie würden Sex haben. Es war mehr als guter Sex. Es war formidabel!
Freddy war nicht nur ein Mann, wie sie ihn sich nach zwei ganz netten, aber belanglosen Kerlen und einem fatalen Fehlgriff immer gewünscht hatte. Abgesehen von seiner ganzen Art kannte er sich bestens mit dem weiblichen Körper aus, wusste die Finger ebenso einzusetzen wie seine Männlichkeit. Intelligent und gut im Bett, das musste kein Widerspruch sein. Auch nicht bei Typen.
Die nie gekannten Gefühle beim Sex sorgten dafür, dass sie lauter als gewöhnlich war, und das führte bereits zu einem kurzen Gespräch mit den Nachbarn rechts von ihrer kleinen, gemütlich eingerichteten 2-Zimmer-Küche-Bad-Wohnung. Fick-Neid.
Anke grinste. Es machte ihr nichts, dass andere mitbekamen, wie Freddy es ihr besorgte. Sie war jung, genoss den Sex und das Leben. Dafür hatte sie zu oft mit denen zu tun, die auf der Strecke blieben.
Der stimulierende Gedanke an seinen harten Schwanz wurde durch einen jähen Geistesblitz zerstört.
Ausgelöst hatte ihn eine Filmszene, in der die Kamera auf eine Leiche zoomte, näher und näher ging, bis das tote Auge die Einstellung ausfüllte.
Mit ihrer Erfahrung als Kriminalbeamtin sah sie sofort, dass es sich nicht um eine echte Leiche handelte. Gebrochene Pupillen ließen sich nicht nachahmen. Totenblick.
»Das ist es«, murmelte Anke und griff nach dem Glas. Ein langer Schluck, und es war zur Hälfte geleert. »Mein Gott! Das ist es!«
Sie nahm die Chipstüte vom Bauch und legte sie auf den Tisch, stand auf und ging taumelnd in die Küche. Sie brauchte einen Schluck Wasser, die Säure des Weins hatte sie durstig gemacht. Außerdem wollte sie ihre Theorie im Internet überprüfen.
Das bauchige Glas war rasch mit Leitungswasser gefüllt. »Wie macht Lackmann das?«, nuschelte sie vor sich hin und stützte sich an den Wänden ab, während sie sich an den kleinen Schreibtisch setzte und den Laptop aufklappte.
Anke kniff die Augen zusammen, nippte von ihrem Getränk. Das Browserfenster schien verzerrt und undeutlich.
Als sie tippte, musste sie ihre Eingabe sehr oft korrigieren, was sie in einer Mischung aus Fluchen und Kichern tat. Doch gelang es ihr, den Geistesblitz nicht mehr zu verlieren.
Es mochte auf den ersten Blick lächerlich wirken, was sie tat, aber die Formulierung des Mörders ließ diese Interpretation zu.
Die Website mit der Suchmaschine baute sich neu auf, das Lesen fiel ihr schwer. Die Worte hüpften.
»Scheiße. So geht das nicht.« Die junge Frau erhob sich, wankte ins Bad und beugte sich vor der Dusche nieder, schaltete sie ein und ließ sich eiskaltes Wasser über Kopf und Nacken sprudeln.
Anke schrie kurz auf. Die Kälte versetzte ihr einen kleinen Schock,
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