Totenblick: Thriller (German Edition)
seinem Sessel fläzte, an der Wasserpfeife sog und den Blick schweifen ließ.
Mal ging das Licht ins Rötliche, mal ins Bräunliche, dann wurde es fast stockdunkel, um nach zehn Minuten wie bei einem Sonnenaufgang zu leuchten.
Er mochte diese Unterschiede. Es half ihm bei der Suche nach Eingebung.
Die Welt wusste nun von zwei seiner gelungenen Arbeiten, die Klicks auf die Seitenzahl stiegen ständig. Niemand würde seine Page rasch aus dem Netz kicken, er hatte Back-ups auf verschiedensten anonymen Servern geparkt, die sich mit einem kleinen Befehl aktivierten und einsprangen. Die Screenshots von Besuchern seiner Seite vermehrten sich. Unlöschbar.
Mit jedem Zuschauer erhöhte sich sein Ansporn, das Bisherige zu übertrumpfen. Atlas wollte bald wieder entlastet werden, Sisyphus’ nächster Stein wartete und wollte hinaufgerollt sein.
Der Druck in ihm schwoll an, auch wenn die Begeisterung und die Resonanz auf seine Werke lindernd auf sein Leiden wirkten.
Nach der Erfüllung der Pflicht kam die Kür an die Reihe. Aufregung breitete sich aus, Vorfreude auf das Ungewisse. Seine neuen Scouts, die ihn zu seinen Auserwählten führten, würden sich beweisen müssen.
Er sog am Mundstück. Brodelnd füllte sich das Gefäß mit Qualm, und Tabakrauch schoss beim nächsten Ausatmen aus seiner Nase.
Auf dem Bildschirm zu seiner Rechten erschien der Berner Totentanz aus dem 16. Jahrhundert, auf dem links der skeletthafte Tod mit Juden, Türken und Heiden zu sehen war; rechts tauchte ein zweiter skeletthafter kriechender Tod auf, der sich an den Maler heranpirschte.
Er schwelgte vor sich hin. Internationale Beteiligte, historische Ausstattung, ein aufwendig zu malender Hintergrund, ja, das könnte ihm gefallen.
Seine Augen zuckten zur anderen Seite.
Dort erschien Triumph des Todes von Felix Nussbaum, einem jüdischen Maler, entstanden im Jahr 1944. Apokalyptisch und mit den zahllosen zerstörten Kunstobjekten, Skulpturen und Gemälden eine Herausforderung an seine requisitorischen Talente. Aber es gab ihm zu viele Skelette darauf zu sehen, was nicht leicht zu arrangieren war. Dennoch mochte er die unwirkliche Stimmung, die beim Betrachter unweigerlich Erschütterung auslöste. Gemalt hatte es Nussbaum unter dem Eindruck der Nazis und dem scheinbaren Ende der Welt.
Das Bild wollte nicht in seine Stimmung passen, so wandte er den Kopf nach vorne, zum dritten Bildschirm.
Das Motiv sagte ihm spontan mehr zu.
Er sah auf Der Tod des Totengräbers von Carlos Schwabe, das gegen Ende des 19. Jahrhunderts im romantisch-symbolistischen Stil auf die Leinwand gebannt worden war. Ein schwarzer Todesengel in Gestalt einer hübschen Frau saß zur Winterszeit am frisch ausgehobenen Grab, in dem der Totengräber just in diesem Moment das Zeitliche segnete. Aquarell und Gouache sorgten für die Weichheit, Bleistift gab den Schliff.
Es passte zum beginnenden Winter. Für die Rolle des Todesengels hätte er auch schon eine passende Kandidatin, für den Totengräber müsste er sich auf seine Scouts verlassen.
Blieb noch der letzte Bildschirm, der schräg hinter ihm zwischen den Fenstern hing, eingerahmt von den langen Vorhängen.
Er nahm sich vor, entweder Schwabes Motiv zu nehmen oder …
Erneut sog er an der Pfeife, hielt die Luft an und behielt den Rauch lange in den gefüllten Lungenflügeln.
Ein Lächeln bildete sich, die Mundwinkel wanderten nach oben.
Warum nicht etwas wagen?
Das Bild, das er gleich zu sehen bekam, würde er umsetzen. Egal was, egal wie.
Abrupt wandte er sich um.
***
Leipzig, Südvorstadt, 24. November
Ares saß in seinen Work-out-Klamotten im verlassenen Laibspeise und aß ein süßes Gebäckteilchen, trank einen Kaffee und sah seiner Schwester ins Gesicht. Das Café hatte schon lange geschlossen, die Stühle waren bis auf ihre beiden hochgestellt.
Der heutige Tag hatte Elisa gehört. Er war mit seiner Zehnjährigen im Zoo gewesen, anschließend hatten sie sich eine Ausstellung speziell für Kinder im Grassi angeschaut. Nach dem anstrengenden Tag hatte sie die Aufführung des Kinderchors im Gewandhaus verweigert, und im Wagen war sie auf dem Rückweg zu ihrer Mutter eingeschlafen.
Danach hatte er Karo von ihrem Tanzkursus abgeholt. Seine Zweitälteste saß zwischen ihm und Charlotte, knusperte an einem Croissant und trank einen Pfefferminztee.
Tanzkursus, huschte es durch Ares’ Kopf. Jungs. Verabredungen. Der Hormonirrsinn begann. Karo sah in ihrem knielangen Rock mit Strumpfhosen, Stulpen,
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