Totenblick: Thriller (German Edition)
Tzschaschel plötzlich auf den Eingang zu und verfiel in langsames Gehen, dehnte sich unbeholfen auf den Treppenstufen und ließ die Arme kreisen.
»Was wird das, Herr Tzschaschel? Toilettengang?«
»Frühstückspause«, erwiderte er grinsend. »Ich lade Sie ein.« Schon war Tzschaschel ins Innere geschlüpft.
Nun wurde es noch merkwürdiger.
Ares folgte ihm und setzte sich zu ihm an den Tisch, von dem aus man die Rennbahn betrachten konnte. Sie waren nicht die einzigen Gäste, aber saßen weit genug abseits, um ungestört eine Unterhaltung führen zu können.
Seufzend schaute der Ramschgroßhändler hinaus. »Ist das nicht prächtig? Diese Pferde?«
»Gibt es die bald für einen Euro?«, konnte es sich Ares nicht verkneifen. Ein Ober brachte die Speisekarte.
Tzschaschel lachte, die Vokuhilalöckchen tanzten wie wild geworden. »Sie wundern sich, was wir hier machen.«
»Genau.«
Er zeigte auf das Buffet. »Das wollte ich Ihnen zeigen. Laufen, essen und ein bisschen Kultur. Darauf stehen Sie doch, als Theatermensch.«
»Pferdesport als Kultur zu bezeichnen halte ich für gewagt, Herr Tzschaschel.« Ares grinste. Noch kam er nicht dahinter, was der Mann bezweckte.
»Zu DDR-Zeiten galt diese Anlage als Bahn mit den meisten Renntagen, Besuchern und Wettumsätzen«, erklärte er ihm und orderte beim Kellner zweimal Buffet, zweimal Kaffee und einen unverschämt teuren Weinbrand.
Der Ober nickte und verschwand in Richtung Theke.
»Weinbrand?« Ares klang absichtlich vorwurfsvoll. »Heute ist nicht Ihr Load-Day.« So bezeichneten sie den Ausnahmetag, an dem es sich Tzschaschel gutgehen lassen und alles Mögliche essen durfte, das normalerweise verboten war. Dazu gehörte auch Alkohol. Er legte die mächtigen Oberarme auf die Tischkante und faltete die Hände.
»Seien Sie nachsichtig«, bat der korpulente Mann. »Sie werden verstehen.« Er sah hinaus zu den trainierenden Pferden und Jockeys. »Das hier ist toll, oder? Ich habe ein bisschen was investiert, weil die Anlage zu schön und zu traditionsreich ist, um sie zu schließen. Ich will, dass hundert Pferde in den Ställen stehen und Tausende von Menschen zu den Rennen kommen. Ich will Märkte veranstalten, Konzerte, Bühnenevents, um die Leute hierherzuziehen. Mein Ziel ist es, in den nächsten Jahren auf vierzig Renntage zu kommen. Wir hängen die anderen ab. Baden Baden, Horn, die können alle einpacken. Leipzig wird das deutsche Ascot.«
Ares wusste nicht, ob vierzig Renntage viel oder wenig waren. »Und ich soll dabei was? «
»Gleich.«
Der Kellner brachte Kaffee und Weinbrand.
Tzschaschel unternahm den ersten Ausflug ans Buffet und kam mit Quark und Müsli zurück. Ares entschied sich für Speck mit Rührei, was ihm die neidischen Blicke seines Kunden einbrachte, aber er hatte eben Hunger.
»Sie waren bei der Eröffnung nicht da?«, erkundigte sich Tzschaschel.
»Nein.«
»Da haben Sie was verpasst. Auch kulturell. Fünfzig Wettschalter hatten wir geöffnet, Tausende von Neugierigen waren da, und das Orchester der Musikalischen Komödie spielte das Stück Ascot Gavotte. Georg hat sich persönlich um alles gekümmert.«
Ares überlegte. »My Fair Lady.« Nicht sein Lieblingsmusical, weil es ausgenudelt war. Es gab frischere Stücke, doch es lief auf unzähligen deutschen Bühnen als Dauerbrenner. Sein Herz schlug mehr fürs Theater.
»Und jetzt ist er verschwunden.«
Ares schob sich Rührei in den Mund und kaute. Darum ging es also. Dutzende von Gedanken ratterten ihm dazu durch den Kopf, doch der erste war, dass sich der Bildermörder innerhalb der Familie Wolke das nächste Opfer ausgesucht hatte. »Wir reden von unauffindbar verschwunden?«
Tzschaschel nickte und malte mit dem Löffel Muster in die Müslikrone des Quarks, als ließe sich sein Essen damit zu Rührei und Speck verwandeln. »Ja.«
»Dann sollten Sie zur Polizei gehen.«
»Seine Frau will das nicht. Sie hassen sich, und nach der Sache mit Armin sowieso.« Tzschaschel stürzte den Weinbrand hinunter, schloss die Augen und rang mit dem Hustenreiz. »Ich versuche, Georg seit Tagen zu erreichen, aber er meldet sich nicht. Doch wenn ich Gisela frage … seine Frau frage, antwortet sie nur, er sei in Hamburg und habe sich absichtlich zurückgezogen. Er fühle sich erschöpft und müsse sich vor einem Burn-out schützen. Sie telefonieren jeden Tag, sagt sie.« Er spülte mit Kaffee nach. »Niemals ist das so. Niemals, Löwenstein! Sie ist froh, wenn er aus ihrem Leben
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