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Totenblüte

Totenblüte

Titel: Totenblüte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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um dort auf die Toilette zu gehen. Sie hatte keine Lust, etwas zu trinken. Sie wollte einen klaren Kopf haben, wenn sie Gary traf. Schließlich fühlte sie sich auch so schon durchgeknallt genug.
    Als sie wieder ans Südufer des Tyne kam, war es ganz dunkel geworden. Der Fluss zog auf seinem Weg zum Meer dahin. In der Bar der Baltic Gallery standen die elegant gekleideten Gäste immer noch beisammen, obwohl keiner mehr eine Rede hielt. Julie setzte sich auf eine Bank am Ufer und sah ihnen zu. Das große Flachglasfenster kam ihr vor wie eine riesige Kinoleinwand, und sie folgte wie gebannt der Handlung, obwohl sie nicht hören konnte, was gesagt wurde. Unter den Gästen war auch eine hübsche junge Frau, die keine Ruhe zu finden schien. Sie flatterte von Gruppe zu Gruppe, redete und lachte und wurde zusehends betrunkener. Sobald sie den Leuten den Rücken wandte, steckten die die Köpfe zusammen und tuschelten über sie. Sie wirkte so einsam, dass es Julie fast die Tränen in die Augen trieb.
    Ihr Handy klingelte. Als sie ranging, registrierte sie dieUhrzeit: 23   Uhr 38.   Sie hatte mehr als eine Stunde hier gesessen und diesen Leuten zugesehen. Und dabei jede Sekunde genossen, die sie allein verbrachte.
    Es war Gary. «Hi. Ich bin doch früher fertig, als ich dachte. Wo bist du denn?»
    «Ich bin schon hier. Ich sitze vor der Baltic Gallery, am Fluss.» Eigentlich wollte sie noch hinzufügen, dass sie eben erst angekommen war. Er sollte ja nicht denken, dass sie hier stundenlang auf ihn gewartet hatte. Doch er erzählte bereits von dem Konzert und wie gut es gelaufen war, eine wahre Freude, trotz der schlechten Musik und obwohl nur so wenig Publikum gekommen war. Dass es einfach solche Abende gab, an denen alles glattlief, wie geschmiert. Dann sah sie ihn auf sich zukommen, während er immer noch ins Handy sprach. Er kam die Stufen vor dem Haupteingang des Sage herunter. Julie stand auf, damit er sie sehen konnte. Das Gespräch brach ab, und sie steckte das Handy rasch zurück in die Tasche, um die Hände frei zu haben. Einen Moment lang blieben sie stehen und sahen einander einfach nur an, dann stolperten sie förmlich aufeinander zu, verlegen wie zwei Teenager. Eigentlich hatte Julie erwartet, dass er sie küssen würde, doch das tat er nicht. Er hielt sie einfach nur kurz fest und strich ihr über den Rücken.
    «Wo möchtest du denn gerne hin?»
    «Können wir vielleicht zu dir gehen?», fragte sie. «Irgendwie habe ich keine Lust auf viele Leute.»
    «Klar.»
    «Am besten fahre ich dir nach», sagte sie. «Ich weiß den Weg ja nicht.» Einen Moment lang hoffte sie, dass er einen Gegenvorschlag machen würde.
Lass dein Auto doch einfach hier stehen. Ich fahre dich dann morgen früh wieder zurück.
Doch er sagte nichts dergleichen, und so mussten sie sich gleich wieder trennen, nachdem sie nur ein paar kurze Minutenmiteinander verbracht hatten. Er sagte ihr, sie solle im Wagen auf ihn warten, und schärfte ihr ein, was sie tun sollte, falls sie sich unterwegs verloren. Sie kam sich vor wie die junge Frau, die in der Bar der Baltic Gallery durch die Menge geschwebt war: verloren und losgelöst von allem.
    Aber sie wollte sich ja nicht lächerlich machen und tat widerspruchslos, was er sagte. Sie wartete am Ausgang des Parkplatzes, bis der weiße Transporter vorbeikam, dann fuhr sie ihm nach bis nach North Shields. Wenn sie ihn an einer Ampel verlor, fuhr er an den Straßenrand, bis sie ihn wieder eingeholt hatte. Als er in einer kleinen Seitenstraße hielt, parkte sie gleich hinter ihm. Von hier aus sah der Fluss ganz anders aus. Julie war plötzlich so nervös, dass sie sich fast wünschte, wieder zu Hause zu sein und im Nachthemd vor dem Fernseher zu hocken, während ihre Mutter ununterbrochen auf sie einredete.
    Oben in der Wohnung war es einfacher. Gary öffnete eine Flasche Wein, und Julie kippte rasch ein großes Glas davon hinunter. Scheiß drauf, dachte sie. Sie hatte ohnehin nicht vorgehabt, heute Nacht noch nach Hause zu fahren. Er legte irgendwelche Musik auf, die sie nicht kannte. Dann setzten sie sich nebeneinander aufs Sofa und lehnten sich so weit in die Kissen zurück, dass sie fast lagen. Gary hatte den Arm um sie gelegt und sprach von der Musik, erzählte ihr, was ihm daran gefiel. Er sprach leise, sodass sie seinen Atem an der Wange spürte. Seine Hand wanderte zu ihrem Hals hinauf, streichelte sie sanft gleich unterm Ohr.
    Und plötzlich musste sie an Luke denken. Daran, wie ihm jemand die

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