Totenblüte
das Handy längst aufgehört zu klingeln. Keine Nachricht auf der Mailbox. Die Anruferliste verzeichnete Samuels Handynummer. Sie rief zurück, doch er hatte seines bereits wieder ausgeschaltet. Felicity sprach ihm erneut auf die Mailbox und versuchte es gleich darauf bei ihm zu Hause, erreichte ihn jedoch nicht. Sie versuchte es immer wieder, bis James nach Hause kam. Dann gab sie auf.
Peter kam ein wenig früher als sonst aus der Universität zurück. Es war erst halb sechs. Durchs Küchenfenster beobachtete Felicity, wie er aus dem Wagen stieg, einen Moment lang stehen blieb und zum Gartenhaus hinüberschaute.
Jetzt denkt er an diese Frau. Er vermisst sie.
Die Eifersucht drückte ihr in der Kehle wie ein falsch verschluckter Bissen. Beinahe musste sie würgen.
James hatte seinen Vater offenbar vom Garten aus gesehen, wo er gespielt hatte, und kam jetzt ums Haus herumgerannt, um ihn zu begrüßen. Sie konnte nicht hören, waser sagte, doch er plapperte direkt los, als er vor Peter stand. Irgendwelche Neuigkeiten aus der Schule wahrscheinlich. Peter lächelte, hob den Jungen hoch und schwenkte ihn einmal durch die Luft.
Felicity sah zu und dachte sich, wie fit er für sein Alter noch war. Wie kräftig. Peter legte seinem Sohn den Arm um die Schultern, und gemeinsam kamen sie auf das Haus zu. Das Telefon klingelte. Felicity ging in Peters Arbeitszimmer, um den Anruf entgegenzunehmen, froh um diese Gelegenheit, sich erst ein bisschen zu sammeln, bevor sie die beiden begrüßte.
Am Telefon war Samuel.
«Hallo», sagte sie. «Ich hatte schon versucht, dich zu erreichen.» Auch am Morgen, als sie in Morpeth war, hatte sie es schon ein paarmal versucht, doch er war weder ans Handy noch an sein Telefon zu Hause gegangen. Schließlich hatte sie ihren ganzen Mut zusammengenommen und war in die Bücherei gegangen, doch die Frau an der Ausleihe konnte ihr nur sagen, dass er sich den Tag freigenommen hatte. Da war sie zu ihm nach Hause gegangen, hatte an seine Tür geklopft, doch er hatte nicht geöffnet.
«Warum denn? Ist etwas passiert?» Seine Stimme klang seltsam, leicht vernuschelt. Sie fragte sich, ob er wohl getrunken hatte.
«Im Moment passt es nicht so gut, Peter ist eben nach Hause gekommen, falls du ihn sprechen willst.» Sie sprach so nett und beiläufig wie immer, wenn die Gefahr bestand, dass jemand das Gespräch mithörte.
«Nein. Ich wollte dich sprechen.»
«Ist alles in Ordnung mit dir?», fragte Felicity. «Wo warst du denn den ganzen Tag?»
Samuel antwortete nicht gleich. Sie hörte Peter aus der Küche rufen, hielt den Hörer zu und antwortete: «Ich binnoch am Telefon. Ich komme gleich. Setz schon mal Wasser auf, ja?»
Samuel schwieg immer noch.
«Wo warst du?», fragte sie noch einmal.
«Eigentlich dachte ich, das könntest du dir denken.» So etwas sagte er sonst nur, wenn sie allein waren – halb im Spaß, ein gemeinsames Einverständnis voraussetzend. Doch jetzt klang er einfach nur verbittert.
«Geht es dir gut?», fragte Felicity. «Stimmt irgendetwas nicht?»
«Ich muss dich sehen.»
«Ich fürchte, das wird nicht möglich sein», erwiderte sie. «Zumindest nicht heute Abend.» Die Vorwürfe, die sie ihm hatte machen wollen, weil er ihr Peters Affäre mit Lily Marsh verschwiegen hatte, waren ebenso vergessen wie das perlende Begehren, das sie seit Beginn ihrer Beziehung verspürte, wenn sie mit ihm sprach, das sie so oft versonnen vor sich hin lächeln ließ, wenn sie allein war. Jetzt wollte sie sich nur noch so schnell und mit so viel Anstand wie irgend möglich aus der Affäre ziehen. Sie empfand Samuel plötzlich geradezu als Belastung.
«Heute vor zwanzig Jahren ist Claire gestorben», sagte er.
Natürlich, dachte Felicity, das war ja auch um Mittsommer herum. Sie erinnerte sich noch gut an die Beisetzung. Ein drückend schwüler Tag. Ganze Schwärme von Insekten unter den Bäumen, während sie draußen vor der Kirche warteten. Die allgemeine Befangenheit, weil es doch seltsam war, jemanden durch Selbstmord zu verlieren. Felicity hatte damals fast das Gefühl gehabt, man müsse Samuel das Beileid aussprechen, weil seine Frau ihn verlassen hatte. Später hatten sie ihn mit zu sich nach Hause genommen, und er hatte ihnen erzählt, wie er seine Fraugefunden hatte. «Sie sah so friedlich aus, wie ich sie seit Monaten nicht mehr gesehen hatte. Das Haar floss ihr so schön ums Gesicht.»
Mit schlagartigem Entsetzen wurde ihr klar, dass diese Beschreibung auch auf die beiden
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