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Totenblüte

Totenblüte

Titel: Totenblüte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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überflutet. Sie fragte sich, ob sie wohl vorher alle Blumen herausgefischt hatten, und stellte sich vor, wie sie auf die Nordsee hinaustrieben und sich in den Schiffsschrauben der DFD S-Fähren verfingen.
    Billy Wainwright, der Leiter des Spurensicherungsteams, war damit beschäftigt, seinen Tatortkoffer wieder in seinem Wagen zu verstauen. Er war ein blasser, schmächtiger Mann, der in den zwanzig Jahren, die sie sich jetzt kannten, kaum älter geworden war. Vera dachte sich, dass er mit einem Gesicht gesegnet war, das einfach immer jungenhaft wirken würde. Sie stieg aus dem Wagen und ging zu ihm hinüber. Selbst jetzt, mitten in der Nacht, war die Luft noch schwer und mild. Der Lichtstrahl des Leuchtturms wanderte über ihre Köpfe hinweg.
    «Irgendwas Ungewöhnliches?»
    «Eine junge Frau, die erst erwürgt, dann am helllichten Tag an einen öffentlichen Ort geschafft und mit Blumen bestreut wird. Ich würde meinen, das ist schon ungewöhnlich genug. Was wollen Sie denn noch?»
    «Muss es am helllichten Tag gewesen sein?»
    «Mit Sicherheit. Allein schon wegen der Flut. Außerdem kann sie auch nicht lange da gelegen haben. Tagsüber wimmelt es hier doch von Leuten, vor allem bei dem Wetter in letzter Zeit. Ich weiß, es ist ein Werktag, und es sind auch keine Schulferien, aber die Sonne lockt doch trotzdem immer Leute an die Küste. Ich würde mal tippen, dass sie, erst kurz bevor man sie gefunden hat, überhaupt dort platziert wurde.»
    So öffentlich, dachte Vera, war die Stelle nun auch wieder nicht. Um sie einsehen zu können, musste man direkt am Rand der Senke stehen. Aber sie dorthin zu bringen, das war schon eine andere Geschichte. Das hatte doch sicher jemand beobachtet. Und der Mörder schien ja auch darauf gesetzt zu haben, dass sie gefunden wurde, ehe die Flut seine sorgfältige Inszenierung wieder zerstörte. Was er wohl gemacht hätte, wenn James Calvert sich nicht gelangweilt hätte und nicht auf Entdeckungsreise gegangen wäre?
    «Wissen wir, wie lange sie schon tot war, als sie ins Wasser gelegt wurde?»
    «Tut mir leid, da werden Sie wohl auf den Obduktionsbericht warten müssen. An einem Tatort wie diesem konnte John einfach nicht viel machen. Wir mussten sie ja schon fast abtransportieren, als er hier ankam.»
    «Obduzieren sie noch heute Nacht?»
    «Das will ich doch nicht hoffen. Zumindest nicht, bis ich mir eine Pizza genehmigt hatte. Ich wollte mir gerade ein Vindaloo reinziehen, als der Anruf kam. Jetzt bin ich halb verhungert.» Billys Appetit war legendär. Er war dünn wie eine Bohnenstange, aß aber wie ein Scheunendrescher. Vera hing kurz dem Gedanken nach, wie ungerecht Gene manchmal verteilt waren. «Vielleicht machen wir es auch erst morgen früh», fuhr er fort. «Ich warte noch auf Nachricht vom Wansbeck.»
    Wie aufs Stichwort klingelte sein Handy, und er entfernte sich ein paar Schritte von ihr, um den Anruf entgegenzunehmen. Man munkelte, er hätte etwas mit der neuen jungen Pathologielaborantin aus dem Wansbeck General, und Vera, die Klatsch und Tratsch liebte und das für ihren Beruf auch als geradezu unerlässlich betrachtete, heftete das im Flüsterton geführte Gespräch innerlich ab, um später Joe Ashworth davon zu berichten. Ihr Sergeant würde natürlich so tun, als ob ihn das alles überhaupt nicht interessierte, doch Vera wusste, dass es anders war. Sie fragte sich, wie es ihm wohl erging. Sie hatten Lily Marshs Eltern in einem Dorf nahe Hexham ausfindig gemacht, und Joe hatte sich bereit erklärt, ihnen die Nachricht vom Tod ihrer Tochter zu überbringen. Er wollte das nicht einfach irgendwem überlassen. Schließlich war er selber Vater. Und obwohl er sich nicht einmal ansatzweise ausmalen konnte, wie es sein musste, ein Kind zu verlieren, glaubte er doch, diese Aufgabe besser bewältigen zu können als manch anderer im Team.
    Wainwright hatte sein Telefonat beendet und kam zu Vera zurück. Trotz der Dunkelheit spürte sie seine aufgesetzte Lässigkeit und hätte ihm am liebsten gesagt, er solle sich doch nicht zum Affen machen. Immerhin war er verheiratet und eigentlich auch ganz glücklich, soweit sie das beurteilen konnte. Die junge Laborantin war bestimmt nur einsam und meinte es nicht ernst mit ihm. Doch dann sagte sie sich, dass sie das alles gar nichts anging und sie sich im Übrigen auch kaum zur Beziehungsberaterin eignete.
    «John möchte so bald wie möglich anfangen», sagte Wainwright. «Er hat am Morgen schon andere Termine. So in einer

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