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Totenblüte

Totenblüte

Titel: Totenblüte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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der Stadt groß geworden und hatte immer genau von diesem Leben geträumt: ein schöner Neubau, gutbürgerliche Nachbarn, eine Familie. Seine Frau war zum zweiten Mal schwanger, im neunten Monat und entsprechend unbeweglich. Als Vera klingelte, hatte sie sich gerade aus dem Bett gequält, ihren gewaltigen Bauch und die geschwollenen Brüste in einen Bademantel gehüllt und schaute verschlafen in den Tag. Joe fütterte seine Tochter, während im Hintergrund das Radio dudelte. Die Kleine saß in ihrem Hochstuhl und strahlte über das ganze Gesicht. Joe schob ihr mit einem Plastiklöffel den Frühstücksbrei in den Mund. Noch so eine glückliche Familie, dachte Vera. Da war ständig von zerrüttetenFamilien die Rede, doch überall, wo sie hinkam, meisterten die Leute ihr Leben bestens. Und sorgten damit dafür, dass sie sich unzulänglich und minderwertig fühlte.
    Vera hatte Peter Calvert am Sonntagabend zu Hause angerufen und sich mit ihm in der Universität verabredet. Sie wollte ihn noch einmal fern seines Bilderbuchheims und ohne seine Bilderbuch-Ehefrau erleben und hatte vorgegeben, wegen der Blumen seinen Rat zu suchen. «Es würde uns sehr helfen, wenn wir wüssten, wo sie vielleicht gepflückt worden sind. Aber es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis die Spurensicherung sie wieder freigibt. Sie haben sie gesehen, zumindest die am zweiten Tatort. Das könnte uns Zeit sparen   …»
    Und er war natürlich hocherfreut gewesen, dass sie ihn darum bat. Das hatte sie ihm angemerkt. «Wie ich höre, sind Sie ja Fachmann auf dem Gebiet», hatte sie noch eines draufgesetzt und ihn förmlich schnurren hören.
    Sie waren etwas zu früh an der Universität, Calvert beendete gerade seine Vorlesung, und so blieben sie hinten im Hörsaal stehen und hörten zu. Vera achtete nicht darauf, was er sagte, sondern beobachtete nur, wie er sich verhielt. Vor einiger Zeit hatte sie mal an einer Fortbildung teilgenommen. Körpersprache. Jetzt versuchte sie, sich zu erinnern, was der Psychologe damals erzählt hatte, doch nichts davon wollte ihr wieder einfallen. Dafür bemerkte sie, dass Peter Calvert sichtlich Gefallen an jungen Frauen fand. In der dritten Reihe saßen zwei hübsche Mädchen. Sie trugen dünne Sommerröckchen und Spitzentops, die praktisch durchsichtig waren, und er schien seine ganze Vorlesung nur für sie zu halten. Wenn eine der beiden eine Frage stellte, lobte er sie für die kluge Anmerkung und legte dabei die Stirn in Falten, um ihr zu beweisen, dass er sie ernst nahm. Vielleicht, dachte Vera, war das bei Männernum die sechzig ja generell so. Schauen kostete schließlich nichts, selbst wenn man dabei Gefahr lief, sich lächerlich zu machen. Sie beobachtete schließlich selbst ganz gern junge Männer, auch wenn sie sich Mühe gab, das etwas diskreter zu handhaben.
    Calvert schien immer noch bester Laune zu sein, als er sie schließlich in sein Büro führte. Er machte sich an einer Kaffeemaschine zu schaffen, die auf dem Fensterbrett stand.
    «Ich kann Ihnen leider nur schwarzen Kaffee anbieten, weil ich selbst keine Milch nehme. Notfalls könnte ich aber bei meinen Kollegen nachfragen. Sie sind also wegen der Blumen hier?»
    «Ganz inoffiziell», beeilte sich Vera zu antworten. «Wir wollen Sie nicht als Experten hinzuziehen. Das kommt dann später, falls es sich als nötig erweisen sollte. Aber an diesem Punkt der Ermittlungen ist vor allem die Zeit ein kritischer Faktor.»
    «Natürlich, das verstehe ich.»
    «Die Blumen sind Ihnen doch sicher aufgefallen, als Ihr Sohn die Leiche entdeckt hat?»
    «Ja. Wobei es mir in dem Moment natürlich das Wichtigste war, James dort wegzubringen. Er war ja völlig außer sich. Es ist schon schlimm genug, überhaupt eine solche Entdeckung zu machen, aber dass er sie auch noch kannte. Ich hatte also kaum Gelegenheit, mir die Blüten genauer anzusehen. Aber aufgefallen sind sie mir natürlich.»
    «Wie würden Sie sie einordnen?»
    «Es waren ganz verschiedene Blumen», sagte Calvert. «Einerseits Wildblumen, wie man sie auf einer Mähwiese findet. Mohn, Margeriten, Butterblumen. Die übrigen schienen Gartenblumen zu sein. Mehrjährige Blüher. Exotische oder sonst wie auffällige Blüten waren nicht dabei.»
    «Also keine Blumen, die man in einem Blumenladen kaufen würde?»
    «O nein, auf keinen Fall. Die wurden alle gepflückt. Und erst kurz vorher, würde ich sagen. Vielleicht hat man sie auch in Wasser gestellt. Jedenfalls waren sie noch nicht verblüht, sie schienen

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