Totenblüte
sie sich verpflichtet gefühlt hätte, niemanden, um den sie sich bemüht hätte. Freundschaft war in ihren Augen ein zweischneidiges Schwert. Am Ende gab man immer mehr, als man zurückbekam.
«Teilweise natürlich die Vögel», erwiderte Clive. «Das können Außenstehende nur schwer nachvollziehen. Die halten einen dann immer gleich für seltsam und verschroben. Aber das ist längst nicht alles. Wir vertrauen uns gegenseitig, obwohl wir so verschieden sind. Sie geben mir Halt.»
Vera kicherte. «Also, Herzchen, jetzt komme ich wirklich nicht mehr mit. Das klingt ja wie aus einer Frauenzeitschrift.»
Er zuckte die Achseln. «Ich hatte auch gar nicht erwartet, dass Sie das verstehen.»
«Was war am Freitag?», übernahm Ashworth. Es sah aus, als nervten Veras Kommentare und Zwischenfragen auch ihn langsam. Er wollte schließlich nicht den ganzen Tag hier verbringen. «Was haben Sie gemacht, bevor Sie zu dem Abendessen nach Fox Mill gefahren sind?»
«Ich war mit Peter Mittag essen.»
«Weil er Geburtstag hatte?»
«Nein, wir treffen uns eigentlich jeden Freitag, einfachauf ein Pint und ein Sandwich. Als wir noch beringt haben, fing damit immer das Wochenende an. Ich habe hier Gleitzeit und konnte mir den Nachmittag freinehmen, also haben wir uns zum Mittagessen getroffen, und anschließend hat Peter mich mit an die Küste zur Beobachtungsstation genommen. Die anderen kamen dann später nach. Inzwischen fahren wir zwar kaum noch hin, treffen uns aber nach Möglichkeit immer noch zum Mittagessen.»
Vera hatte den traurigen Gedanken, dass das für Clive vermutlich der Höhepunkt jeder Woche war: ein Mittagessen mit einem alternden Egomanen, der im Grunde nur einen Bewunderer brauchte.
«Wie hat Doktor Calvert an diesem Tag auf Sie gewirkt?»
«Es war alles in Ordnung. Wie immer. Er freute sich auf das Wochenende.»
«Und worüber haben Sie gesprochen?»
«Das weiß ich gar nicht mehr …»
«Das können Sie mir nicht erzählen. Sie haben doch so ein unfehlbares Gedächtnis. Details. Darin sind Sie gut.»
«Er schreibt an einem Buch. Wir haben hauptsächlich darüber gesprochen.»
«Und nach dem Essen?»
«Bin ich nach Hause gegangen, um noch etwas Zeit mit meiner Mutter zu verbringen.»
«Und Doktor Calvert?», fragte Ashworth. «Was hat er gemacht?»
«Er ist wieder zurück zur Uni gegangen. Zumindest glaube ich das. Er hat nichts gesagt, aber er ging in die Richtung.»
«Wie sind Sie dann nach Fox Mill gekommen?»
«Gary hat mich mitgenommen.»
«Hat er Sie zu Hause abgeholt?»
«Nein, er war spät dran und kam direkt von der Arbeit im Sage, deshalb hatten wir vereinbart, uns in der Stadt zu treffen. Ich habe die Metro genommen.»
Er griff erneut nach dem Skalpell, drehte den toten Vogel auf dem Brett um und strich ihm mit dem Finger über den Kopf. «Ich muss jetzt wirklich sehen, dass ich weiterkomme. Ehrlich gesagt verstehe ich auch nicht, was diese ganzen Fragen sollen. Ich war zufällig dabei, als eine Leiche gefunden wurde. Das ist alles. Ich kannte keines der beiden Opfer.»
Vera warf Ashworth einen Blick zu, um zu sehen, ob er noch mehr zu sagen hatte, und er schüttelte den Kopf. «Dann lassen wir Sie mal in Frieden», sagte sie. «Vorläufig zumindest.»
«Ich bringe Sie noch nach draußen.» Clive riss sich mit sichtlicher Mühe wieder von dem kleinen Alk los und ging ihnen durch die vielen Flure voran, zwischen den Staubflocken hindurch, die im Sonnenlicht vor den hohen Fenstern tanzten. Er öffnete die Tür, durch die man ins Museum gelangte, und zögerte dann, als wollte er nicht weitergehen. Auch Vera blieb stehen und sah ihn an.
«Wenn Sie den Verdacht hätten, einer Ihrer Freunde könnte einen Mord begangen haben … würden Sie mir das sagen?»
Er zögerte keine Sekunde. «Natürlich nicht. Ich vertraue meinen Freunden. Ich weiß, wenn sie etwas so Schreckliches täten wie einen Mord begehen, dann hätten sie sicher einen guten Grund dafür.»
Damit drehte er sich um und ging, und Vera und Joe sahen ihm nach.
KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG
Felicity kam aus dem Garten. Sie hatte ein Sieb mit Bohnen für das Abendessen in der Hand, viel zu viele, wie ihr jetzt klarwurde. Sie würden an diesem Abend nur zu zweit sein; James war bei einem Freund. Zurück in der Küche, war ihr die Vorstellung etwas unbehaglich, dass Peter und sie einander am Tisch gegenübersitzen und gemeinsam zu Abend essen würden. Sie wusste nicht recht, worüber sie reden sollten, und malte sich aus,
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