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Totenblüte

Totenblüte

Titel: Totenblüte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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das, Herzchen. Nur hatte sie anscheinend keine.
    «Wie ist sie denn an das Schulpraktikum in Hepworth gekommen?»
    «Darum hatte sie ausdrücklich gebeten. Sie sagte, sie hätte den Evaluationsbericht der Ofsted über die Schule gelesen und glaube, ein Praktikum dort könne ihr sehr viel bringen. Ich war ja froh, dass sie endlich eine gewisse Leidenschaft für das Unterrichten an den Tag legt, und habe das für sie eingefädelt.»
    «Und wie hat sie sich dort gemacht?»
    «Gar nicht schlecht. Vor zwei Wochen habe ich mich noch mit der Direktorin unterhalten. Sie sagte mir, Lily gebe sich große Mühe, eine Beziehung zu den Kindern aufzubauen. Das hat mich gefreut. Bis dahin kam mir ihr Unterrichtsstil immer etwas sehr technisch vor.»
    «Wussten Sie irgendetwas über ihr Privatleben?»
    Annie Slater hob den Kopf und sah Vera an, als fände sie den Gedanken vollkommen absurd.
    «Natürlich nicht. Wir waren doch nicht befreundet.»
    «Aber Sie wohnten doch in derselben Straße. Sie hatten Kontakt zu ihren Mitbewohnerinnen.»
    «Emma und ich sind immerhin verwandt.»
    Sie verkehrten nicht in denselben Kreisen
. Vera hatte selbst unter dieser gesellschaftlichen Arroganz gelitten, sie roch sie kilometerweit gegen den Wind. Vielleicht hakte sie ja deshalb noch einmal nach. «Dann haben Sie also auch nie von Gerüchten gehört, dass Lily ein Verhältnis mit einem Dozenten hatte?»
    «Ich gebe nichts auf Universitätsklatsch, Inspector.» Was so gut wie gar keine Antwort war. Annie Slater wandte sich wieder ihrem Brief zu und machte keine Anstalten, Vera zur Tür zu bringen.
     
    Vor dem Hancock-Museum trafen Vera und Joe sich wieder. Sie warteten, bis ein Grüppchen Erstklässler in ordentlichen Zweierreihen von Lehrern und Eltern ins Museum geleitet worden war. Dort war gerade eine Dinosaurierausstellung zu sehen: rekonstruierte Skelette, bewegliche Modelle. Die Werbeplakate hingen in der ganzen Stadt, von Bussen, Bahnsteigen und Ladeneingängen stierten einem Tyrannosaurus-Köpfe mit bösem Blick entgegen. Die Kinder waren unnatürlich still, wie eingeschüchtert von dem riesigen Gebäude und dem Gedanken an die gewaltigen Monster.
Jurassic Park
in Newcastle.
    Vera und Ashworth folgten ihnen nach drinnen, blieben dann in der Eingangshalle stehen und genossen die Kühle im Museum, bis Clive Stringer sie abholen kam.
    «Ist das nicht toll?» Ashworth sah den Kindern nach, die in den Ausstellungsräumen verschwanden. «Man muss Kinder einfach früh für so was begeistern.» In zwei oder drei Jahren, dachte Vera, kommt er dann mit seiner eigenen Tochter her.
    «Dazu kann ich nichts sagen.» Clive blinzelte unsicher hinter seiner dicken, runden Brille hervor. «Ich habe nicht viel mit den Besuchern zu tun.»
    Sein Reich lag hinter einer massiven Holztür, die er mit einer Chipkarte öffnete. Dahinter erstreckte sich eine Zimmerflucht mit hohen Decken und ganzen Reihen staubiger Vitrinen. Es waren kaum andere Mitarbeiter zu sehen. Clive führte sie in seinen Arbeitsraum, und Vera fühlte sich an den Saal im Wansbeck General erinnert, wo John Keating die Autopsie an Lily Marsh durchgeführt hatte. In der Mitte des Zimmers stand ein langer Tisch, auf einer Seite befanden sich mehrere große Waschbecken, und es roch nach Chemikalien und Tod. Allerdings wirkte hier alles sehr viel altmodischer – Holz und Emaille statt Edelstahl   –, und essah auch nicht so aus, als wäre hier alles blitzsauber und steril. Die Fenster waren so dreckig, dass die Sonnenstrahlen kaum durchdrangen.
    Auf einem Brett lag der Kadaver eines schwarzweißen Vogels, daneben ein Skalpell, Wattebäusche, kleine Metallschüsseln. Auch eine Art Autopsie.
    «Ist das nicht ein junger Alk?»
    «Ja. Sein erster Winter. Er ist während der Stürme letzten November an Land geraten und wurde schließlich tot in einem Vorgarten in Cramlington gefunden. Der Hausbesitzer hat ihn uns gebracht. Seither hatte ich ihn im Kühlfach. Jetzt will ich einen Balg daraus machen.» Er schaute zu Ashworth hinüber, sah, dass der Ausdruck ihm nichts sagte. «Wir präparieren solche Bälge nicht als Ausstellungsstücke, sondern für die Forschung. Das Museum bewahrt sie als Material für Wissenschaftler und Studenten auf.»
    Veras Vater Hector hatte sich als Amateurpräparator betätigt. Er arbeitete am Küchentisch, zu Hause im alten Stationsvorsteherhäuschen. Bälge zu Forschungszwecken hatten ihn allerdings nie interessiert. Er schützte zwar wissenschaftliche Neugier vor, doch

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