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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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ist bis jetzt nur eine Vermutung«, bekannte der Commissaris, »ein Gedanke, der mir gekommen ist. Ich lasse es gerade überprüfen. Zuiker war zwar nicht krank, aber auch völlig verzweifelt. Er wollte nicht mehr leben, genau wie Heleen Soeteman. Zu Hause hörte er immer ein Lied, Help me if you can, I’m feeling down, von morgens bis abends dasselbe Lied. Er hatte das Gefühl zu ersticken. Vielleicht erinnern Sie sich an so einen Brief oder Anruf?«
    Jacobszoon schüttelte den Kopf. »Nein, der Name sagt mir gar nichts. Die meisten der Menschen, die uns anrufen oder schreiben, dringen nicht bis zu mir vor, und nur ein Bruchteil schafft es in die Kolumne oder die Sendung. Früher, am Anfang meiner Arbeit, hat jeder dieser Briefe, jeder Anruf mich tief berührt. Sie berühren mich auch heute noch, aber nicht mehr so wie am Anfang. Damals war es fast so, als gingen die Probleme, Sorgen und Qualen der Anrufer und Briefschreiber auf mich über. Sie verbrannten mich. Ich konnte nicht mehr schlafen und nicht mehr essen, es war wie ein Fegefeuer, aus dem ich nicht mehr entkam. Ich habe mich sogar mit einigen der Absender getroffen, weil ich das Gefühl hatte, ihnen eine persönliche Begegnung zu schulden. Ich wollte sehen, ob ich nicht mehr für sie tun konnte, als ihnen nur ein paar tröstende Zeilen zu schreiben oder nachts im Fernsehen einen Rat zu geben.«
    Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr, dann auf sein Telefon, als wünschte er sich, es möge klingeln und ihn erlösen. »Und wissen Sie, was ich dabei herausgefunden habe? Viele dieser Leute, die so aufwühlende Briefe schrieben oder am Telefon so verzweifelt klangen, waren Heuchler, Lügner, geltungssüchtige Hypochonder. Andere hatten jeden Maßstab für echtes Leid verloren. Sie hatten einfach zugelassen, dass ihr bisschen Elend wuchs und wuchs; sie hatten es gegossen und genährt, bis es ihnen riesig erschien, unerträglich.«
    Er rieb sich die Augen mit Daumen und Zeigefinger, und Van Leeuwen fragte sich plötzlich, ob die Intensität seines Blicks nicht reine Müdigkeit war. »Psychologie, hat mal jemand gesagt, ist wie ein Radio – man kann das ganze Universum einstellen. Auf allen Wellenlängen wird gesendet, jeder Mensch ist mein Hörfunk- und Fernsehprogramm, nur dass ich die Sender nicht auswählen kann und sie auch nicht zu meinem Vergnügen einschalte. Hirngespinste oder echtes Leid, sobald ich hier sitze, sobald ich die Post lese, habe ich es mit der Dunkelheit des Universums zu tun. Und ich versuche, nicht mehr hinzuschauen, denn sie ist endlos. Die Dunkelheit ist so endlos und so tief, dass man nie wieder zurückfindet, wenn man nicht achtgibt.«
    »Lassen Sie uns noch einmal auf Heleen Soeteman kommen«, unterbrach ihn der Commissaris. »Live in der Sendung haben Sie also nicht mit ihr gesprochen, wie Sie sagen. Aber wie war das bei den Telefonaten außerhalb der Sendung? Hat jemand anders mit ihr geredet, bevor sie zu Ihnen durchgestellt worden ist? Oder die Briefe, die sie Ihnen geschrieben hat, was ist aus denen geworden? Haben Sie den Fall in Ihrer Kolumne behandelt?«
    »Nein. Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Ich dachte, dass vielleicht jemand durch diese Briefe oder Anrufe auf Heleen Soeteman aufmerksam geworden sein könnte.«
    »Jemand?«
    »Der Mörder.«
    Irgendwo hinter der gepolsterten Studiotür klingelte ein Telefon. Es war das erste Geräusch, das in die erstickende Dunkelheit des Studios drang. Jacobszoon schien dem Klingeln zu lauschen, bis es aufhörte, aber auch danach lauschte er noch weiter, und der Commissaris begriff, dass er auf etwas hörte, das in ihm erklang oder geschah. »Sie meinen, jemand könnte sie aus Mitleid getötet haben? Um sie zu erlösen?«, fragte er.
    »Ja.« Van Leeuwen schob die Hände in die Manteltaschen. Jetzt wusste er wieder, dass genau das der Gedanke war, den er gestern Nacht kurz vor dem Einschlafen gehabt und sofort wieder vergessen hatte. »Wie gut kennen Sie die Leute, mit denenSie arbeiten? Ihre Kollegen, das Redaktionsteam hier und bei De Avond! ?«
    Der Moderator schüttelte unwillig den Kopf. Das Geräusch, das er in sich hörte, schien leiser zu werden, zu verklingen. »Sie denken doch nicht, dass einer von denen etwas mit der Tat zu tun haben könnte?«
    Der Commissaris sagte: »Heleen Soeteman und Gerrit Zuiker wurden beide auf dieselbe Weise ermordet – mit einer Plastiktüte, die ihnen jemand über den Kopf gestülpt und dann mit Klebeband verschlossen hat, bis sie erstickt sind.

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