Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
Vom Netzwerk:
pünktliche Frau, auf die Minute, das schätzte er. Sie trug einen weich fallenden, moosgrauen Kaschmirmantel, darunter Jeans und schlanke Stiefel aus Nappaleder. Ein rotes Filzbarett mit einem schwarzen Lederrand war mit frechem Schwung schräg zum linken Ohr heruntergezogen.
    Trotz des Feierabendgedränges der Fußgänger und Radfahrer auf der Brücke erspähte sie ihn von der obersten Stufe der Treppe aus und hob die Hand zu einem kurzen Winken. »Danke, dass Sie mich abholen«, meinte sie, als er die andere Seite des belebten Amstelkais erreicht hatte. »Ich dachte, Sie fühlen sich vielleicht wohler, wenn wir uns nicht in meiner Praxis verabreden, sondern ein bisschen spazieren gehen und dabei reden.«
    »Solange ich nicht über meine Frau reden muss«, erklärte der Commissaris, die Hände in den Taschen seines Trenchcoats, den er über die Uniform geworfen hatte.
    »Sie müssen über gar nichts reden, wenn Sie nicht wollen, Mijnheer van Leeuwen«, sagte Doktor Menardi, passte eine Lücke im Strom der Skater und Radfahrer ab und überquerte rasch die gepflasterte Straße zum Flussufer.
    »Gut, dann spendiere ich Ihnen einen Kaffee und gehe wieder an meine Arbeit«, sagte der Commissaris erleichtert, als auch er auf der anderen Seite angekommen war.
    »Sehen Sie sich das an, der reinste Kitsch«, bemerkte die Psychologin und deutete auf den Fluss und die Brücke. Ein Lächeln von fast kindlicher Andacht trat auf ihr Gesicht. Die Sonne wargerade erst untergegangen, und die Glühbirnen an der Magere Brug bildeten ein bunt leuchtendes Spalier in der frühen Dämmerung. Himmel und Wasser teilten sich denselben Kupferton, garniert mit einem unvollendeten Mond. Hinter der Brücke ragte der schlanke Turm der Zuiderkerk grau in die blass nachglühenden Wolken. Durch die hohe Fensterfront der Stopera ganz am anderen Ende des Amstelbeckens fiel der Blick auf die strahlend hellen Gänge des Muziektheaters, in denen die ersten abendlichen Opernbesucher durchs Rampenlicht schlenderten.
    »Wollen wir uns nicht noch einen Moment setzen?«, fragte Doktor Menardi. Ohne seine Antwort abzuwarten, ging sie zu einer Bank, die unter den ausladenden Ästen einer Platane stand. Mit einer Hand strich sie über die Sitzfläche. Kühl, aber trocken. Sie setzte sich und klopfte mit derselben Hand auf den Platz neben sich.
    Der Commissaris blieb unentschlossen vor der Bank stehen.
    »Ich bin nicht Ihre Feindin, Mijnheer van Leeuwen«, sagte die Psychologin. »Ich bin hier, um Ihnen zu helfen. Sie wissen, was passiert, wenn ich Hoofdcommissaris Joodenbreest sage, dass Sie es ablehnen, mit mir zu reden. Und sagen muss ich es ihm, das ist Ihnen doch klar.« Sie sah zu ihm auf, und in ihren dunklen Augen spiegelte sich der Himmel. Sie lächelte jetzt nicht mehr, aber ihr Gesicht war trotzdem offen. »Wenn Sie also nicht über Ihre Frau reden wollen, dann vielleicht über den Jungen in der Straßenbahn?«
    »Über den auch nicht«, entgegnete Van Leeuwen.
    »Oder über die Fälle, an denen Sie gerade arbeiten«, ergänzte Menardi. »Viele Ihrer Kollegen reden mit mir, wenn sie einen Verlust erlitten haben oder wenn Sie im Dienst jemand töten mussten, und manchmal auch nur, weil sie nicht mehr weiterwissen. Sie fühlen sich dann besser.«
    »Ich fühle mich sehr gut, danke«, sagte Van Leeuwen.
    »Ja, davon habe ich gehört, von Ihrer Dickköpfigkeit«, meinte Feline Menardi, und ihrer Stimme ließ sich nicht anhören, ob sie damit ein Urteil fällte. »Commissaris van Leeuwen, ganz der unabhängige Mann des neunzehnten Jahrhunderts, der nur seineminneren Kompass folgt, egal, wohin der ihn führt, während sich alles um ihn herum mithilfe von Radar orientieren muss. Schlafen Sie deswegen nachts in der Centraal Station, weil Ihr innerer Kompass Sie dorthin führt?«
    »Das ist ein schöner Name – Feline Menardi , Doktor«, sagte Van Leeuwen und stellte einen Fuß auf die Kante der Sitzfläche.
    »Mein Vater war Portugiese, und mütterlicherseits gab es noch ein paar indonesische Zweige an meinem holländischen Stammbaum«, erklärte die Psychologin. »Deswegen der Name und das Aussehen. Und falls Sie sich fragen, wie ich an eine Wohnung in dieser Gegend komme, die habe ich von meinem geschiedenen Mann. Sie weichen mir aus, ist das Absicht?«
    Van Leeuwen antwortete: »Ich habe im Bahnhof geschlafen, weil ich dort schlafen konnte , Frau Doktor. Inzwischen kann ich wieder zu Hause schlafen. Davon abgesehen gibt es viel zu viele von diesen

Weitere Kostenlose Bücher