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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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Betracht ziehen, sich nach und nach von Dingen zu trennen, die Sie zu sehr an Ihre Frau erinnern, das gemeinsame Bett, möglicherweise sogar die Wohnung, was immer für Sie sehr stark mit Erinnerungen behaftet ist. Ein Umzug wirkt manchmal Wunder. Und gehen Sie nicht zu oft auf den Friedhof!«
    Der Commissaris stand auf. Die Pflastersteine unter seinen Füßen glänzten nass, und hier und dort schimmerte eine Fischschuppe oder ein ganzer Kopf, der einem Reiher aus dem Schnabel gefallen war, als er seine aus dem Wasser geschnappte Beute durch die Luft davongetragen hatte. »Es wird kühl«, stellte Van Leeuwen fest; er fühlte sich, als wäre es sein Kopf, der da lag. »Sie sollten nach Hause gehen.«
    »Jetzt sind Sie zornig«, bemerkte Doktor Menardi.
    Er schwieg.
    »Möchten Sie mit mir über Ihren Zorn reden?«
    »Nein!«
    Sie stand ebenfalls auf, doch statt zurück über die Straße gingsie auf den Fluss zu und blieb auf der Kaimauer stehen. »Es geht einem an die Nieren zu sehen, wie der Tod Ihrer Frau Ihnen zusetzt«, sagte sie.
    »Sie haben keine Ahnung, wie sehr«, sagte er.
    »Sie könnten es mir erzählen. Auch wenn Sie es nicht glauben – Reden hilft. Es erleichtert, wie eine Beichte.«
    Zheng Wu hat es nicht geholfen, dachte er.
    Feline Menardi drehte sich um, und als sie ihn jetzt ansah, stellte er fest, dass sie fast so groß war wie er. »Über irgendetwas müssen Sie mit mir reden, wenn ich dem Hoofdcommissaris sagen soll, dass er Sie nicht zu suspendieren braucht.«
    Aus Richtung des weit draußen mit seinem verschwenderischen Lichterglanz prunkenden Amstel Hotel näherte sich ein Passagierschiff, eine schwarze Silhouette, in der lauter goldene Löcher schimmerten, wo in die Deckaufbauten Bullaugen und Kajütenfenster gestanzt waren.
    »Also gut«, meinte der Commissaris, »Sie haben recht: Ich bin zornig und wütend, aber nicht – oder nicht nur –, weil meine Frau nicht mehr lebt. Ich wusste ja, dass es so kommen würde. Ich hatte Zeit, mich darauf vorzubereiten – soweit man sich auf den Tod des einzigen Menschen, den man liebt, wirklich vorbereiten kann. Es ist die Idee des Bösen, die mich wütend macht. Ich glaube, dass man anfängt, sich damit abzufinden, wenn es einen nicht mehr wütend und zornig macht.«
    Er trat dicht an den Rand der Kaimauer, gegen den die ersten Ausläufer des von dem dunklen Passagierschiff verdrängten Wassers schwappten. Er sagte: »Heute Morgen war ich bei Gericht, wo gegen einen Chinesen, der seinen Cousin umgebracht hat, Anklage erhoben werden sollte. Er hatte die Tat gestanden, er hatte sogar selbst die Polizei gerufen.« In knappen Worten fasste er zusammen, was danach geschehen war, bis zu Ailings Aussage an diesem Vormittag. »Und auf einmal soll es nicht mehr Mord, sondern Notwehr gewesen sein, und das Rouletterad blieb bei Zero stehen. Und da soll ich nicht wütend sein?!«
    »Woher wussten Sie denn, dass diese Frau lügt?«
    Van Leeuwen antwortete: »Weil ihr Mann mir die Wahrheit gestanden hat, und ich wusste, als er es mir sagte, dass es die Wahrheit war. Ich habe ihn dazu gebracht, über das Motiv zu sprechen. Wissen Sie, manchmal liegt der Schlüssel zur Aufklärung eines Mordes nicht in dem Verbrechen selbst, nicht mal im Täter, sondern im Ermittler. Nur er kann diesen bestimmten Fall aufklären, weil die Lösung nur in ihm angelegt ist, so wie die Tat im Mörder angelegt war. Deswegen hat Zheng Wu sich mir letzten Endes anvertraut. In anderen Fällen dagegen liegt der Schlüssel zur Lösung in der Person des Mörders, und zwar nur in ihm. So ist es vermutlich bei einem Serientäter, hinter dem wir gerade her sind.«
    Der Passagierliner war inzwischen so nah, dass seine Turbinen die Luft beben ließen, und der Wind wehte Musikfetzen heran, das Klappern von Geschirr aus der Kombüse, das helle Lachen einer Frau. Die Bugwellen klatschten härter an die Kaimauer, und bald waren sie so laut, dass der Commissaris schreien musste. Das Schiff war jetzt nicht mehr schwarz, sondern weiß mit einem gelben Streifen an der Bordwand, und es hielt direkt auf die Magere Brug zu, die sich träge in der Mitte teilte. Ächzend und klirrend stiegen die beiden Holzflügel in die Nachtluft, bestückt mit roten und violetten Lämpchen.
    »Wissen Sie schon etwas über das Motiv des Serientäters?«, rief die Psychologin.
    »Mitleid!«, brüllte der Commissaris.
    »Mitleid? Mit wem?«
    »Mit seinen Opfern!«
    Der Passagierliner drosselte das Tempo immer mehr und schob

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