Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
Vom Netzwerk:
all dem kein Wort glaubte, denn ihr Mann war ein Sonnenschein gewesen, in jedem Leben außer in ihrem. Sie hatte versucht, sich zu erschießen, hatte sich aber so ungeschickt angestellt, dass die Kugel nur den Gaumen zerschmetterte und die Sehnerven zerstörte. Sie starb am sechsundzwanzigsten September 1999. Todesursache: Tod durch Ersticken.«
    Der Commissaris ging zu seinem Schreibtisch, setzte sich und stützte die Ellbogen auf die Tischplatte. Im Sitzen suchte er den roten Punkt, der den Fundort von Lisa de Vries’ Leiche markierte. Jetzt, aus größerem Abstand, glaubte er, in den Gruppierungen der Knöpfe ein Muster oder eine Form zu erkennen, wusste aber nicht, woran diese Form ihn erinnerte.
    »Ich habe hier drei weitere Fälle vom Landespolizeikorps bekommen«, fuhr jetzt Inspecteur Vreeling fort. Er stand vor der Karte und tippte mit dem Zeigefinger seiner endlich verheilten und vom Verband befreiten Karatehand auf einen anderen roten Punkt mitten in den Niederlanden. »Der erste ist ein siebenunddreißigjähriger Narkosearzt, Toos van Houten, der den Gehirntod einer jungen Mutter verursacht haben soll. Er verliert seine Stelle, die Verwandten der Koma-Patientin überziehen ihn mit Zivilklagen und Prozessen, und er fängt an, Geister zu sehen: die beiden ungeborenen Kinder der Mutter verfolgen ihn. Er stirbt am dritten Oktober 1986, also vor siebzehn Jahren, Todesursache unspezifisch, möglicherweise Tod durch Ersticken.«
    »Und der zweite Fall?«, erkundigte sich Van Leeuwen.
    »Eine Benediktinernonne, Schwester Anna, die vom Teufel besessen war«, antwortete Vreeling und deutete auf den nächsten roten Punkt, »hier, nicht weit von Nimwegen. Von einem Tag aufden nächsten wirft sie sich jedem Mann an den Hals, fängt an zu saufen, bespuckt das Kreuz und Gemälde der Jungfrau Maria. Sie wird aus ihrem Kloster geworfen und von ihrem Orden verstoßen. Sie magert ab, leidet unerklärliche Schmerzen, scheint innerlich zu verbrennen, ihre Augen lodern.«
    »Tod durch Ersticken«, warf Gallo ein. »Entweder am sechsundzwanzigsten September oder am dritten Oktober, richtig?«
    »Am sechsundzwanzigsten September 2001«, bestätigte Vreeling. »Der dritte Fall war der Fahrer eines Tanklastwagens, der …«
    »Was haben alle diese Fälle gemeinsam«, unterbrach ihn der Commissaris, »überhaupt alle Fälle, die wir mit hoher Wahrscheinlichkeit ein und demselben Täter zuschreiben können?« Sein Blick kehrte immer wieder zu der Karte an der Wand zurück, als würden auch seine Augen von dem Magnetfeld angezogen. Er spürte, dass etwas geschah: Winzig kleine Teilchen, Atome, schienen sich in ihm zusammenzuziehen, zu einem Bild, das sich vor seinem inneren Auge über die Fata Morgana der Metallknöpfe legte.
    »Die Opfer wurden erstickt«, sagte Julika Tambur. »Immer am selben Tag oder besser an zwei Tagen, im September und Oktober.«
    »Und niemand kam bei der Bestimmung der Todesursache auf Fremdeinwirken«, ergänzte Gallo. »Niemand kam auf einen Mörder mit einer Plastiktüte oder einer Rolle Zellophanfolie.« Er nickte fast bewundernd. »Das perfekte Verbrechen … Sieht so aus, als hätte jemand irgendwann vor Jahren einmal das perfekte Verbrechen begangen und danach einfach nicht mehr aufhören können …«
    »Das perfekte Verbrechen gibt es nicht«, erklärte der Commissaris. »Die Idee der Zivilisation kennt das perfekte Verbrechen genauso wenig, wie die Natur das Vakuum kennt.«
    »Und was kennt die Natur stattdessen?«, erkundigte sich Gallo.
    »Möglichkeiten. Einen Raum voller Möglichkeiten.« Ein Bumerang , dachte Van Leeuwen, in den Anblick der Knöpfe versunken wie ein Kind beim Bleigießen. Das ist eine der Möglichkeiten. Es könnte ein Bumerang sein, dessen kräftiges Ende sich um Amsterdam wölbt, während der stetig dünner werdende Griff nach oben weist,nach Steenwijk. Laut sagte er: »Alle waren unglücklich – das ist die Gemeinsamkeit. Sie waren verzweifelt. Sie wollten nicht mehr leben, keiner von ihnen. Wenn wir ihre Freunde oder Verwandten befragen würden, was bekämen wir dann zu hören? Immer und immer wieder die gleiche Geschichte, Thema und Variation, ad infinitum .«
    »Worauf willst du hinaus?«, fragte Gallo.
    Der Commissaris antwortete: »Wir müssen uns doch fragen: Was für ein Mensch ist das, den wir suchen? Was für eine Tarnung benutzt er? Oder: Tarnt er sich überhaupt? Warum geht er so ein Risiko ein – um Mitternacht in einer belebten Gegend wie de wallen sein

Weitere Kostenlose Bücher