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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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sah sie vor sich stehen und spürte wieder den Schmerz, der so tief ins Herz reichte, wenn man wirklich und aufrichtig liebte und sich keinen anderen Menschen vorstellen konnte.
    Es war nur ein kleiner Streit gewesen, gerade heftig genug, um ihm eine Ahnung von Ende und Verlust zu geben, vom Unwiederbringlichen jeder jungen Liebe. Aber er entsann sich, dass er an jenem Abend, bei diesem Streit, den Entschluss gefasst hatte, jedem Abenteuer und aller unnötigen Gefahr abzuschwören. Und während sie sich endlich im Neongeflacker der Reklametafeln küssten, eine Versöhnung wie in einem Technicolor-Film, tat er dies in dem sicheren Gefühl, niemals mehr etwas bereuen zu müssen.
    »Sie wollen wissen, ob ich mir manchmal den Tod meiner Frau gewünscht habe?«, fragte er heftig. »Natürlich habe ich das! Ich habe mir ihren Tod gewünscht, weil ich nicht genug von ihr kriegen konnte, von ihrer Zärtlichkeit und ihrer Liebe. Ich habe mir gewünscht, dass sie stirbt, weil ich ihr so gern zusah, wenn sie Zeitung las oder die Blumen goss oder an ihrer Unterlippe zupfte, während sie an ihrer Schreibmaschine saß und über den nächsten Satz für ihren Artikel nachdachte. Dann ihre dunkelbraunen Augen, mit denen sie reden und zuhören und lachen und streiten und weinen konnte. Oder die Art, wie sie ihren Kopf hielt, wenn sie telefonierte, oder wie ihr Hals sich ins Licht neigte, wenn sie sich über ein Buch beugte – das waren alles Gründe, sich ihren Tod zu wünschen.«
    Van Leeuwen bohrte die Fäuste immer tiefer in die Taschen des Trenchcoats. »Ich legte gern meinen Arm um ihre Hüfte, und ich war immer glücklich, wenn ich ihre Hand hielt, sie war zart und schlank, und ich dachte, hoffentlich stirbt sie bald. Sie zog sich nicht besonders elegant an, aber das machte nichts, weil alles gut aussah an ihr, sogar die bunten Farben, für die sie eigentlich zu alt war. Wenn wir verreisten, packte sie regelmäßig zu viel ein, egal, ob wir nur für drei Tage nach Zandvoort wollten oder für zwei Wochen in die Toskana, aber sie in ihren bunten Pullovern unschlüssig vor den offenen Koffern stehen zu sehen war so schön, dass ich wusste, ich werde dankbar für ihren Tod sein. Sie liebte Gedichte. Sie schminkte sich immer genau richtig, nicht zu stark und nicht zu schwach. Sie war wie manche Gemälde, die bei jedem Licht wirken, weil sie aus sich heraus leuchten, aus einer innerenKlarheit und Kraft. Das war meine Frau, und es war eine Freude, sie um mich zu haben, die ganze Zeit, jeden Tag bis zum letzten, und natürlich hatte ich die ganze Zeit nichts anderes im Sinn, als mir ihren Tod zu wünschen!«
    Doktor Menardi stand dicht vor ihm, und jetzt tat sie etwas Seltsames: Sie reichte ihm wortlos ein Taschentuch. Er schob ihre Hand weg. »Das sind bloß Wasserspritzer«, sagte er heiser, »von dem Passagierschiff eben!« Er wischte sich mit dem Ärmel über die Wangen und leckte sich das Salz von der Oberlippe.
    Die Psychologin steckte das Taschentuch wieder ein. Leise meinte sie: »Wenn Sie sie wegen all dieser Dinge geliebt haben, dann muss es doch sehr schwer für Sie gewesen sein, sie weiter zu lieben, als sie … nachdem sie krank geworden war. Ein Alzheimer-Patient ist ja kein einfacher Fall für seine Angehörigen.«
    »Wer sagt denn, dass alles immer einfach ist? Dass es einfach sein muss, eine Ehe zu führen? Oder jemanden zu lieben?«
    »Können Sie mir etwas über Ihre Einstellung zur Ehe sagen?«
    Nein, dachte er, plötzlich erschöpft, das kann ich nicht. Ich habe keine Einstellung mehr, weil ich keine Ehe mehr habe. Ich habe nur noch Erinnerungen. »Ich glaube an Liebe«, erwiderte er. »An Begehren und Zärtlichkeit. An Vertrauen. Ich glaube daran, dass man mit jemand zusammen sein will und gut zu ihm sein will und glücklich ist, wenn man ihn sieht und um sich hat, und das alles, weil man es so will. Ich glaube nicht mehr an Verbote und Tabus, an Du darfst nicht und Du musst . Ich glaube sogar, dass eine verheiratete Frau zwei Männer lieben kann und darf, auf verschiedene Weise oder auf dieselbe, weil es menschlich ist.«
    »An all das glaube ich auch«, bekannte Feline Menardi nach einer Pause, »aber geschieden bin ich trotzdem. Es gibt eben nicht immer ein Happy End.«
    »Doch«, entgegnete Van Leeuwen, »nur nicht immer an der richtigen Stelle. Was werden Sie nun dem Hoofdcommissaris sagen?«
    Sie hob ihre Armbanduhr dicht an die Augen und drehte sich so, dass der Lichtschein einer Laterne auf das Zifferblatt

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