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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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und schwarzen Rissen im Stamm. Und wenn man ganz dicht an den Baum ranging, konnte man das getrocknete Harz auf der Rinde sehen und lauter kleine gelbliche Insekten, die tot waren. Ihre Köpfe zeigten nach oben, als hätten sie versucht, an dem Baum hochzuklettern, bis zum Wipfel. Aber keines von ihnen war angekommen, keines von ihnen hatte es bis ganz hinauf geschafft, alle waren auf dem Weg an die Spitze vertrocknet und kleben geblieben, einige ganz weit unten, andere in der Mitte und ein paar sogar ziemlich weit oben. Alle tot, allevertrocknet. Aber als sie noch lebten, als sie unbedingt da hochkrabbeln wollten, als sie kletterten und kletterten, was meinen Sie: Waren sie da glücklich oder unglücklich?«
    Ihr habt geglaubt, es war nur das Leben eines erbärmlichen Wesens, das ihr auslöscht.
    »Wann können Sie vorbeikommen, um die Leiche zu identifizieren?«, erkundigte sich der Commissaris.
    »Muss ich das?«
    »Ja, das müssen Sie.« Er ging zur Tür, ohne dass sie ihm folgte, und dort drehte er sich noch einmal um. »Ach, etwas interessiert mich noch: Was ist für Sie eigentlich eine Ehe?«
    Er hatte keine Antwort erwartet, aber so schnell, als hätte sie sich genau darüber schon seit Längerem ausgiebig Gedanken gemacht, erklärte sie: »Etwas, das zu schnell verblüht. Etwas, dem die Blätter ausgerissen werden.« Margriet stand da und sah ihn an, und um sie herum lagen glimmend und schimmernd die winzigen Splitter wie übrig gebliebene Reste des Materials, aus dem sie gemacht worden war. »Und für Sie?«
    »Vergangenheit«, antwortete der Commissaris.
    Won’t you please, please help me!

5
    De wallen, das Amüsierviertel von Amsterdam, hatte zwei Arten von Bewohnern, die sich wie Wettermännchen nie zur selben Zeit zeigten. Früh am Morgen, wenn die roten Lichter ausgeschaltet waren und weiße Klöppelvorhänge an den Fenstern die Kabinen der window girls vor den Blicken verbargen, nahmen die Wagen der Straßenreinigung ihre Arbeit auf und sammelten den Dreck der vergangenen Nacht ein. Adrett gekleidete Kinder verließen fröhlich wie die Lerchen mit Rucksäcken und Schulranzen die Häuser zwischen Oudezijds Voorburgwal und Oudezijds Achterburgwal und rannten an den Kanälen entlang, um pünktlich zum Unterricht in der Schule zu sein. Ältere Frauen und Männer mit Einkaufsnetzenerledigten noch vor dem Frühstück die ersten Besorgungen in den kleinen Krämerläden, während die Kirchgänger von den Frühmessen nach Hause schlenderten.
    Die Handwerker schoben die Jalousien ihrer Werkstätten hoch, und die Obsthändler stellten Kisten mit Äpfeln, Melonen, Tomaten und Apfelsinen unter die Markisen vor ihren Schaufenstern. Aus den Türen der Läden drang der saubere Geruch von fangfrischem Fisch auf zerstoßenem Eis, der Duft von gerade fertig gebackenem Brot, das Aroma von heißem Kaffee. Noch bevor die Angestellten auf dem Weg zur Arbeit schnell ein Hörnchen und einen Espresso zu sich nahmen und später die selbstständigen Architekten, Journalisten und Werbetexter an denselben Cafétischen im Freien die Morgenzeitungen lasen, hallte aus den Höfen und Garagen schon das Geräusch von Hämmern auf Eisen, Holz oder Leder, Motorsägen und Drillbohrern, das sich mit dem Zwitschern der Vögel in den Kronen der Bäume auf den Kanalmauern vermischte.
    Die Straßen waren noch kühl, auch wenn auf dem Wasser in den Grachten schon das Sonnenlicht glänzte. Die Blumen in den Kästen auf den
     Fensterbänken und in den Tonnen neben den Eingangstreppen strotzten vor Farben, und auf den Ziegeldächern und den Fassaden der Häuser mit ihren
     vorspringenden Giebeln trockneten die letzten Spuren der nächtlichen Regengüsse. Die erloschenen Glühbirnen zwischen den Ufern schaukelten an ihren
     Ketten sacht im Wind, der vom IJ landeinwärts wehte und mit trockenem Rascheln durch die silbernen Blätter der Ulmen und Platanen strich. Die Möwen mähten wie weiße Sicheln den blauen Himmel. Fischreiher stießen kopfüber ins Wasser, um nach Nahrung zu tauchen, und ein paar Straßen weiter am Zeedijk spießten chinesische Restaurantbesitzer die ersten halb aufgetauten Enten auf eiserne Grillstangen.
    Später am Vormittag öffneten hier und dort bereits wieder die Sexshops und Live-Cabarets. In einigen Fenstern verschwanden die weißen Vorhänge, und die roten Neonröhren warfen ihr lockendes Licht auf die Frühschicht der window girls . Gegen Mittag erschienen vereinzelte Bummler: Touristen, Seeleute, Soldaten aufUrlaub,

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