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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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Anblick war tröstlich. Die blonden Locken verdeckten das Gesicht und den Hals. »Ja, das ist er. Er ist draußen vorbeigegangen.« »Könntest du bitte mal den Vorhang aufmachen«, bat der Commissaris. »Da müssen doch den ganzen Abend Männer vorbeigehen, im Dunkeln – wie kannst du dich so genau an einen bestimmten erinnern?«
    Geschmeidig stand Cherry auf, ging zum Fenster und zog den weißen Vorhang beiseite. Die wuchtigen Mauern der Oude Kerk waren nur wenige Meter von der Kabine entfernt, und in dem roten Schimmer, der nach draußen fiel, konnte der Commissaris die Passanten deutlich erkennen. Sie tauchten aus der Dunkelheit auf und schlenderten an den Fenstern vorbei, einige mit den Händen in den Hosentaschen, andere mit Bierflaschen in der Faust. Manche kauten Kaugummi, ein paar zogen hastig an ihren Zigaretten. Die meisten schauten scharf und schnell herein, aber einige taten, als kämen sie nur zufällig draußen vorbei, und alle waren erst blass, dann wurden sie dicht an der Scheibe kurz rot und wieder blass, wenn sie weitergingen. Sobald sie den Commissaris in seinem Sessel sahen, gingen alle weiter.
    »Dieser Mann – Gerrit – ist mir sofort aufgefallen.« Cherry stand neben dem Fenster und folgte den Männern mit den Blicken. »Es ist ein Spiel«, erklärte sie, »sie taxieren uns, und wir taxieren sie. Ein Blick in ihre Gesichter, egal, wie cool sie tun – wenn sie einen ansehen, weiß ich, wie sie es gern haben, was sie auf Touren bringt. Der große Blonde, der da hinten stehen geblieben ist, mit derBomberjacke und dem Vereinsschal von Ajax, sehen Sie den? Der nur aus den Augenwinkeln herschaut und nervös so tut, als müsste er unbedingt was von seinem Handydisplay ablesen – das ist einer von denen, die ich in den Mund nehmen muss, in Ihrem Sessel da, und gleichzeitig will er meine Fingernägel zwischen seinen Beinen spüren.«
    Sie griff in die Jackentasche und holte ein in matt glänzendes Papier eingewickeltes Bonbon hervor. »Oder der da, der Tamile mit dem Rosenkorb: Er lächelt, während er nach dem Preis fragt, und er lächelt, wenn er reinkommt, und er lächelt, wenn er sich auf die Bettkante setzt, und dann will er erst mal nur reden. Und dabei lächelt er weiter, während er mir in schlechtem Englisch von zu Hause erzählt, von seinen Eltern und seinen Geschwistern. Nach jedem Satz macht er eine Pause und sitzt nur da und lächelt, weil er sich nicht traut, mich anzufassen.«
    Sie packte das Bonbon aus und schob es in den Mund. »Haben Sie den gerade mitgekriegt, der hier so abwesend reingestarrt hat? Das war einer aus der Werbebranche, einer, der sich selbst am besten findet. Der ist schnell auf hundert und kann sich dann überhaupt nicht mehr zügeln, komm her, mach schon , der zieht sich selbst aus und will nur mit mir schlafen, sonst nichts. Keine Extras, keine absonderlichen Wünsche, nur auf mir liegen und fertig werden und dann wieder weg. Und draußen reut ihn das Geld …«
    Vor dem Fenster schob ein uniformierter Streifenpolizist sein fiets vorbei. Der junge agent sah zur Kirche hinüber, wo zwei schlanke, aber muskulöse Thais mit langen schwarzen Haaren Stellung bezogen hatten, geschminkt wie für einen Auftritt im Zirkus, beide in eng anliegenden Kleidern aus roter und schwarzer Spitze und hohen Pumps. Sie fuchtelten mit langen Zigarettenspitzen herum, lachten schrill und riefen etwas, das Van Leeuwen nicht verstand. Der agent von der Fahrradstreife lachte auch und ging weiter, und Cherry sagte:
    »Das war eben ein besonderer Fall, der Kollege von Ihnen mit dem Rad und den roten Bäckchen. Der ist unter Garantie erst vorKurzem aus der Provinz hierher versetzt worden, aus Edam oder Leiden. Der kommt erst nach Mitternacht vorbei, und wenn ich dem seinen eng sitzenden schwarzen Netzslip ausziehe, muss ich ihn erst mal waschen. Und während er es mit mir macht, schnüffelt er an mir herum nach dem Geruch seines Vorgängers – wie ein Hund –, und sobald er fertig ist, würde er mich am liebsten verprügeln, weil ich ihn nackt gesehen habe, ohne seine schöne blaue Uniform.«
    Und du, dachte der Commissaris, was ist mit dir, Gretjen Mol? Am Anfang bist du stolz gewesen, als du die Macht gespürt hast, die Cherry mit ihrem Körper über völlig fremde Männer ausüben kann – wie wenige Muskeln ausreichen, um sie willenlos werden zu lassen. Doch irgendwann, nicht viel später, hast du die Einsamkeit gespürt, aus der sie zu Cherry kommen, die Wut, die Qual, die

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