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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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ein Jahr.«
    Zheng Wu beugte sich bis fast zu den Knien vor und füllte die beiden Tassen mit dem stark nach Jasmin duftenden Tee. »Etwas Zucker, bitte?«
    »Nein, danke.«
    Der Chinese nickte beifällig, ehe er mit seiner Tasse einige Schritte zurückrollte. Schweigend nahmen sie den ersten Schluck Tee, der stark und gut war. Zubereitet von der Hand eines Mörders , dachte der Commissaris, und du trinkst ihn, und er schmeckt dir. Von oben drang der musikähnliche Mehrklang aus Flöte, Schellen und Saiteninstrumenten durch die Zimmerdecke. Wus Blick wanderte zu dem leblosen Körper unter dem Tisch, genau wie der des Commissaris.
    »Und Ihr Cousin?«, fragte Van Leeuwen. »Seit wann lebt er in Amsterdam?«
    »Cousin lebt gar nicht mehr«, sagte der Chinese.
    »Wie wahr«, bestätigte der Commissaris, und jetzt klang sogar seine Stimme fremd für ihn. »Aber wie lange hat er hier gelebt?«
    »Ein halbe Tag.« Wu nickte, wohl wissend, dass seine Auskunft rätselhaft klang. »Ist heute Morgen gekommen, mit Zug von Rotterdam. Gestern sein Schiff hat angelegt, Schiff aus Nanjing in China.«
    »Sie haben nicht viel Zeit verloren, Mijnheer Wu.«Bedächtig trank Van Leeuwen den würzigen Tee in kleinen Schlucken; er wusste nicht, wie lange er seinen Zorn noch im Zaum halten konnte. »In der kurzen Zeit dieses halben Tages hat Cousin Jun also Dinge getan, die es notwendig erscheinen ließen, ihn zu töten, und zwar vom Rollstuhl aus?«
    Zheng Wu schüttelte voller Bedauern den Kopf. »Nein, hat er schon vorher getan, schon in Heimat China. Er bringt Schmach und Schande über mich und sich.« Er seufzte lang und tief, und sein Blick wanderte von dem leblosen Körper zu Van Leeuwen. »Sie haben Erfahrung mit Kummer, Mijnheer?«
    »Ich habe große Erfahrung mit Kummer«, antwortete der Commissaris leise.
    »Dann wissen Sie, dass er einen Menschen nie wieder loslässt?« Der Chinese sah ihm forschend in die Augen. »Der Kummer fährt in Herz wie eisiger Windstoß. Man öffnet Mund, um zu atmen, und mit der Luft zum Atmen erfüllt einen Kummer bis in kleinste Ader. Er sich gräbt ein, baut Nest und nährt sich von der ganzen Wärme, die ein Mensch trägt in sich, bis nur noch Kälte übrig. Und geht nie wieder weg.«
    »Besser kann man es nicht ausdrücken«, bestätigte der Commissaris. Er hatte das Gefühl, dass die Dunkelheit um ihn herum dichter wurde; sie schien zu gerinnen, während er Tee trank und über seinen Zorn und den Kummer nachdachte. »Man lernt, damit zu leben«, fügte er hinzu.
    »Und mit gebrochenem Herzen auch?«, fragte der Chinese. »Ich Cousin Jun immer wieder sage: Du brichst mir Herz. Immer wieder. Du brichst mir Herz!« Er sprach mit solcher Inbrunst, dass der Commissaris unwillkürlich auf seine Brust starrte, als könnte es wahr sein, als könnte ein Herz tatsächlich brechen und auch ein Anzug aus schwarzer Rohseide dieses Leiden nicht wirklich verbergen. Er sah Zheng Wu an und dann den toten Cousin und dachte: Die Antwort lautet ja. Man kann auch mit gebrochenem Herzen leben, nur anders als vorher. Er trank den Tee aus und fand, dass es Zeit war, zu gehen, Zheng Wu zu verhaften und zum Präsidium zu bringen. Er musste hier raus; plötzlich war ihm, als bekäme erkeine Luft. Sein Herz hämmerte, und er wollte kein Wort mehr hören.
    »Ich habe auch Albträume«, bekannte der Chinese drängend. »Scheußliche Albträume.«
    »Vielleicht hören die Albträume auf, wenn Sie sich die Gründe von der Seele reden, die zum Tod von Cousin Jun geführt haben«, gab der Commissaris zu bedenken.
    »Oh, nein!« Zheng Wu presste die Augen fest zusammen und schüttelte den Kopf. »Niemals ich kann davon erzählen. Schmach und Schande, sie sind zu groß.« Er presste die Lippen zusammen, bis sie nicht mehr zu sehen waren. »Leben hat Zheng Wu zermalmt. Sein Leid zieht durch alles, und in ihm ist nur noch Traurigkeit des Herbstwindes. Und die schwarzen Träume.«
    »Dagegen weiß ich ein Mittel.« Van Leeuwen stellte die Tasse auf das Tablett zurück und erhob sich von der Bettkante. »Es ist ganz einfach: Hören Sie auf zu schlafen.«
    »Oh«, sagte Zheng Wu. Er führte seine eigene Tasse zum Mund und leerte sie ebenfalls. »Noch besser wäre, Zheng Wu hört auf zu leben, nicht wahr? Es gibt keine Verbindung mehr zwischen ihm und Welt. Ja, Zheng Wu wäre am liebsten tot.«
    »Van Leeuwen auch«, sagte der Commissaris. »Aber so, wie’s aussieht, muss er weiterleben, genau wie Zheng Wu, den er jetzt verhaftet.

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