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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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Verbrauchermärkten erstreckten sich die Wiesen und Felder, Gras, das noch immer saftig war, zu gelblichen Haufen getürmtes Heu, endlose Rübenfelder im sonnigen Oktoberlicht, glitzernde Bewässerungsgräben unter zähen Nebelfetzen. Hier und da lehnte eine windschiefe Scheune an einem flachen Gehöft, vor einem weiten Horizont, der wie mit dem Lineal gezogen wirkte.
    Der Commissaris sah die dunkelbraunen Äcker und das hoch stehende Gras und die vereinzelten Weiden, deren Zweige in den Wind fielen, aber er nahm sie nicht wahr. Er sah Kühe auf den Wiesen grasen und wiederkäuen und Pferde, die an Holzzäunen entlangtrabten. Eine Windmühle, die ihm noch nie aufgefallen war, regulierte mit behäbig kreisenden Flügeln den Wasserstand in den Gräben der Polder. Federwolken trieben unter dem tiefblauen Himmel von der Nordsee landeinwärts, zu hoch, als dass sie Schatten werfen konnten. Krähen sammelten sich auf den Feldern, die schon abgeerntet waren.
    Der Commissaris war zu tief in Gedanken, zu abgelenkt, um den Anblick wirklich wahrzunehmen. Er wusste, dass es so war, denn manchmal wurde für eine Sekunde ein Bild vor seinen Augen scharf – ein Stillleben, eine Momentaufnahme –, und er dachte flüchtig: kostbar, viel zu schön , bevor seine Gedanken zu den Morden zurückkehrten, die er aufklären musste, zu den Toten, die noch auf Gerechtigkeit warteten.
    Seine Haut kribbelte, als liefen Hunderte roter Ameisen darüber, seit gestern, seit Holthuysen ihn angerufen hatte. Es war das Wort Serientäter , das dieses tausendfüßige Kribbeln auslöste, eine Art elektrischer Spannung um seinen Körper. Er hoffte, dassHolthuysen sich irrte. Er hoffte, dass es nur diese beiden Plastiktüten-Morde gab und sonst keinen mehr, nicht davor und auch nicht danach. Keine weiteren Toten, die womöglich über das ganze Land verteilt in der Erde lagen. Keine Jagd gegen die Uhr, bei der man aufhörte, die Opfer zu bedauern, weil man nicht mehr das eine Leben sah, das ausgelöscht worden war, sondern hoffte, dass der Mörder weiter tötete, weiter Menschen umbrachte. Weil er irgendwann einen Fehler machen musste, einen Fehler, der ihm zum Verhängnis wurde.
    Lass ihn noch den einen umbringen, bei dem er den Fehler macht, damit wir alle anderen vor ihm beschützen können.
    Ein weiteres Paradoxon, dachte der Commissaris, dass man manche Mörder den anderen vorzog, weil sie mehr Menschen am Leben ließen. Er drehte sich in seinem Sitz zu Inspecteur Vreeling um, der wie immer auf der Rückbank hinter Gallo saß. »Remco, wie weit bist du mit Zheng Wu? Was hast du in Chinatown herausgefunden?«
    »Also, laut Ausländerbehörde ist er legal hier, hat einen gültigen Pass, eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung und eine Arbeitserlaubnis, die Impfbescheinigungen sind auch in Ordnung«, sagte Vreeling. Er griff in die Seitentasche seines Blousons aus sandfarbenem Wildleder und holte einen Notizblock hervor. Zum Blättern nahm er die verletzte Hand zu Hilfe; den ehemals weißen Verband zierten inzwischen eine Fülle vielfarbiger Kaffee-, Cola-, Senf- und Ketchupflecken, garniert mit Spuren von Eigelb und Olivenöl. Er überflog seine Notizen und seufzte. »Im Grunde ist es der immer gleiche Roman. Sie kommen hierher, weil sie zu Hause …«
    »Ich kenne den Roman«, unterbrach der Commissaris ihn, »und du kennst ihn auch, also schlagen wir doch sofort das Kapitel auf, das von Mijnheer Wu handelt.«
    Vreeling nickte geduldig. »Vor einem Jahr kam Zheng Wu, von Armut und Hunger getrieben, nach Amsterdam, voller Hoffnung auf Arbeit und Wohlstand. Das Geld für die Überfahrt hatte er sich zusammengebettelt, Haus und Hof waren verpfändet …«
    »Und bitte nicht in der Sprache von Charles Dickens …«
    »Sie sind ein harter Mann, Commissaris. Also gut: In der Volksrepublik China lebte Zheng Wu mit seiner Familie in einem kleinen Dorf im Yangtse-Tal – Eltern, Geschwister und seine Frau Ailing. Das Gebiet ist auch bei uns bekannt geworden, weil die Chinesen da einen Riesenstausee angelegt haben, für den viele Dörfer geräumt werden mussten, ohne dass irgendjemand den Menschen auch nur einen Cent Entschädigung gezahlt hat. Hunderttausende Familien, Millionen Menschen haben damals rund um den Drei-Schluchten-Damm alles verloren, Land, Haus, Vieh, und niemand kümmerte sich darum. Zheng Wu und seine Frau gingen erst nach Fengdu, wo sie bei Verwandten unterkam, während Zheng weiterzog, bis er Arbeit in Nanjing auf den Docks fand, allerdings

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