TotenEngel
Könnt ihr das herausfinden?«
»Es lohnt sich wohl kaum, so eine Zeitung nur für Amsterdam zu drucken«, meinte Gallo.
»Ja, aber manchmal wird sie erst in Amsterdam getestet, bevor man sie im ganzen Land herausbringt«, sagte Van Leeuwen und dachte, dass die Zeitung die erste Gemeinsamkeit zwischen Gerrit Zuiker und Heleen Soeteman war, außer der Art, wie sie getötet worden waren. Er bückte sich erneut, denn neben demZeitungsstapel stand der Mülleimer, und er klappte den Deckel hoch, um den Inhalt in Augenschein zu nehmen. Er entdeckte ausgepresste Orangen- und Zitronenschalen, verkrustete Müslireste, Brotrinde und mehrere benutzte Teebeutel, dazu ein Plastikdöschen, das ein starkes Schmerzmittel enthalten hatte.
Er nahm den Mülleimer mit zum Bett. Er setzte sich wieder und fischte zwei Briefe aus der Plastiktüte, beide mit Essensresten verklebt. Der Briefkopf auf dem ersten Blatt, das halb durchgerissen war, lautete Privatklinik Doktor med. van der Meer, das Schreiben entpuppte sich bei genauerem Hinsehen aber nicht als Brief, sondern als Rechnung. Für eine umfassende Untersuchung durch mehrere Ärzte im August und die Analyse der bei einer Biopsie entnommenen Zellen im klinikeigenen Labor wurden Heleen Soeteman insgesamt fast zweitausend Euro berechnet. Van Leeuwen verspürte ein Zucken seiner Galle, das ihm noch aus der Zeit vertraut war, als solche Briefe an ihn adressiert und ähnliche Beträge für die Untersuchung seiner Frau in Rechnung gestellt worden waren.
Der zweite Brief war handgeschrieben und mit einer persönlichen Anrede versehen: Liebe Heleen . Er stammte von einer Selbsthilfegruppe für unheilbar Krebskranke.
Liebe Heleen , stand da, du schreibst, du hast schon alles versucht und weißt nicht mehr weiter, und wenn du sämtliche Gurus und Wunderheiler durchhast, wenn bei der Telefonseelsorge aufgelegt wird, sobald sie deine Stimme hören, und wenn die Kirche und Gott und die ganze Tröstungsindustrie dir keine Hilfe mehr bieten …
Van Leeuwen dachte: Ich will das nicht lesen. Er faltete beide Briefe zusammen und steckte sie in die linke Außentasche seines Trenchcoats, dann stand er auf und sagte: » Andiamo! «, was er nicht mehr gesagt hatte, seit Sim tot war.
» Andiamo wohin?«, wollte Julika wissen.
»Wir bringen Teamchef Sinnege den Schüssel von hier zurück, und dann fahren wir zu Pim von der Tankstelle, bevor wir Doktor van der Meer einen Besuch abstatten!«
» Doktor Death? «, fragte Vreeling. »Meinen Sie, bei dem Mord an Heleen Soeteman handelte es sich vielleicht um Sterbehilfe?«
»Doktor van der Meer«, korrigierte ihn der Commissaris. »Wenn es Sterbehilfe war, dann war es kein Mord. Aber wenn es Sterbehilfe gewesen wäre, dann müsste sie von einem Arzt durchgeführt worden sein, ein zweiter Arzt müsste vorher seine Zustimmung gegeben haben, und hinterher müsste man den Fall dem Staatsanwalt melden, einschließlich des schriftlich erklärten Todeswunsches der Patientin und der Feststellung ihrer unheilbaren, qualvollen Krankheit durch ebenfalls mehrere Ärzte. Diesem Staatsanwalt müsste man dann auch erklären, warum der Tod mit einer Plastiktüte herbeigeführt worden ist statt mit einer Kaliumspritze, und zwar auf einem Tulpenfeld und nicht in einem Klinikzimmer. Nein, ich glaube nicht an Sterbehilfe, aber ich möchte wissen, was genau die Ärzte in Van der Meers Klinik herausgefunden und Heleen Soeteman gesagt haben.«
Eine halbe Stunde später hatten sie das Kopfsteinpflaster der Altstadt von Haarlem hinter sich gelassen, und es war noch immer früher Nachmittag. Rechts und links von der Straße glommen flache Gewächshäuser in der Sonne, eins hinter dem anderen, und alle sahen genauso aus wie das, vor dem Heleen Soeteman ermordet worden war. Die abgeernteten Tulpenfelder lagen kahl und farblos zwischen den Glasflächen.
Nach einiger Zeit fuhren sie an Kartoffeläckern vorbei, auf denen die von der Ernte übrig gebliebenen Pflanzen verbrannt wurden. Der Rauch zog über die umgegrabenen Furchen davon, und die Flammen sahen aus wie rote Fahnen, die im Wind schlugen. Noch später wogte goldbrauner Mais unter den Herbstböen, sodass es wirkte, als tanzten unsichtbare Geister zwischen den hohen Blättern.
Als die Maisfelder aufhörten, gaben sie den Blick auf eine Tankstelle frei, deren großes Total -Schild in Blau und Rot dringend einer Wäsche bedurfte. Gallo lenkte den Golf von der Fahrbahn auf das Tankstellengelände und hielt zwischen den
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