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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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nur vorübergehend. Doch dort schloss er Freundschaft mit einem Mann namens Ang Li, der sich wenig später auf nach Europa machte, und zwar hierher nach Amsterdam. Mijnheer Li zwitscherte ihm in Briefen und am Telefon ein verführerisches Lied von unserer schönen Stadt und dem Leben hier vor, so lange, bis Mijnheer Wu beschloss, ihm zu folgen. Leider reichte das Geld, das er sich bei Freunden und Verwandten zusammenbettelte, nur für ihn und auch nicht für mehr als eine Passage auf einem Trampfrachter. Natürlich fiel es ihm schwer, seine junge schöne Frau zurückzulassen, aber seine Familie – darunter sein Cousin Jun – versprachen ihm, sich um sie zu kümmern und auf sie achtzugeben, so lange bis er es sich leisten konnte, sie nachzuholen. Doch als er in Rotterdam eintraf, musste er leider feststellen, dass es auch hier mit Arbeit längst nicht so rosig aussah, wie sein Freund es ihm beschrieben hatte. Er fand zwar nach einigen Monaten einen Teilzeitjob in einer Wäscherei, doch was er verdiente, reichte gerade, um nicht zu verhungern. Er war sehr traurig, denn er hatte ja gehofft, Ailing bald nachholen zu können, um hier mit ihr eine Familie zu gründen. Aber das Geld reichte nicht einmal für die Rückreise, und weil er schon überall und bei jedem verschuldet war, wollte ihm auch niemand mehr etwas leihen. Wenn Ang Li ihn nicht bei sich aufgenommen hätte, wäre er auf der Straße gelandet.«
    »Und wir sind inzwischen wohl bei Victor Hugo gelandet?«, brummte der Commissaris.
    »Ich versuche, es in Ang Lis Worten wiederzugeben«, protestierte Inspecteur Vreeling. »Er ist meine Quelle.«
    »Versuch, es in deinen Worten wiederzugeben.«
    Vreeling zuckte mit den Schultern. »Viel mehr ist es sowieso nicht. Mijnheer Wu wurstelte sich so durch, von Job zu Job, mal als Koch, mal als Verkäufer, mal als Matratzenstopfer, aber er blieb nirgendwo lange, und was er verdiente, reichte nicht zum Leben und nicht zum Sterben. Ailing fehlte ihm, er redete oft von ihr, aber irgendwann vor nicht allzu langer Zeit hörte er damit auf. Ungefähr zur selben Zeit fing er an, sich zu verändern, wurde streitsüchtig, legte sich mit jedem an, vor allem mit Ang Li, weil der ihn hierher gelockt hatte. Er sagte, er wäre lieber mit Ailing im Wasser hinter dem Drei-Schluchten-Damm ertrunken, als hier getrennt von ihr zu verhungern. Willkommen in Amsterdam , sagte er andauernd, zu jedem, willkommen in Amsterdam , aber es klang wie ›willkommen in der Hölle‹. Als wäre es plötzlich schwarz in seiner Seele geworden «, Vreeling hob beschwichtigend die verletzte Hand, »das sind Mijnheer Lis Worte, nicht meine, ich weiß. Und dabei sah Wu aus, als hätte er eben dem Teufel selbst in die rußschwarze Fratze geschaut – Satan, der mit einem scheußlichen Grinsen die Hand ausstreckte: Willkommen in Amsterdam. Schließlich sprach Wu gar nicht mehr, mit niemandem. Aber er hat viele Briefe geschrieben, an Ailing und später an seinen Cousin. Er hat auch hin und wieder von Mijnheer Lis Handy aus in Fengdu angerufen, wenn Li in großzügiger Stimmung war.«
    »Und er hat viele Briefe bekommen«, bemerkte Van Leeuwen mit einem Anflug jener Müdigkeit, gegen die er sich neuerdings nicht zu wehren wusste, wenn er von den schmerzlichen Wegen hörte, auf denen verirrte Liebe verloren ging. »Was hat deine Quelle über sein Leiden gesagt? Warum er im Rollstuhl sitzt? Seit wann?«
    »Tja, das passierte in etwa zur selben Zeit, als er aufhörte zu reden.« Vreeling klappte seinen Notizblock zu. »Eben noch die ganzeZeit das Willkommen in Amsterdam , und plötzlich konnte er sich nicht mehr auf den Beinen halten. Sie knickten buchstäblich unter ihm weg, sagte Li. Zheng Wu konnte nicht mehr stehen und nicht mehr gehen. Der Rollstuhl ist eine Leihgabe der chinesischen Gemeinde, sonst hätte Wu die Wohnung überhaupt nicht mehr verlassen. Komisch, nicht? Kein organischer Befund, heißt es, aber Li meint, etwas hätte der Seele die Beine zerquetscht .«
    »Eifersucht kann einen Menschen völlig auf den Kopf stellen«, bestätigte Van Leeuwen. »Sie kommt nicht langsam wie Liebe oder Hass, sondern sie bricht plötzlich über einen herein; sie überschwemmt das Gehirn wie die gestauten Wassermassen ein Tal, wenn der Damm gesprengt wird. Wie der Yangtse. Sie spült mit ihrem Toben und Rasen alles weg, was wir uns künstlich aufgebaut haben, das ganze fragile Gerüst von Vernunft oder Intelligenz oder Kultur. Plötzlich gibt es nur noch nackten,

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