TotenEngel
wurde als Todeszeitpunkt festgestellt – Freitag, der dritte Oktober, zwischen sieben und neun Uhr.«
»Wie weit seid ihr da inzwischen?«
Sinnege antwortete nicht, und deswegen beeilte Van Leeuwen sich hinzuzufügen: »Ich frage das, weil wir hier bei unserem Opfer – Gerrit Zuiker, der eine Woche früher, am sechsundzwanzigsten September, ermordet worden ist – überhaupt nicht weiterkommen. Ich dachte, ihr könntet uns vielleicht ein bisschen helfen.« Er sah, wie Ton Gallo, Julika und Inspecteur Vreeling befremdete Blicke tauschten, und zuckte mit den Schultern. Tut mir leid, der Zweck heiligt die Mittel . »Habt ihr Zeugen? Was für Hinweisegibt es am Tatort? Und Verdächtige – wie sieht es mit Verdächtigen aus?«
»Keine Zeugen«, berichtete Sinnege jetzt bereitwillig, »und keine Verdächtigen. Sie war so früh am Morgen allein auf der Farm; ihre Kollegen kamen erst später. Gefunden wurde sie um kurz nach neun, und die Kollegen gingen von einer natürlichen Todesursache aus. Als der Doc uns darüber informierte, dass es sich um einen Mord handeln könnte, war für meine Leute nicht mehr viel zu holen. Trotzdem konnte der Technische Dienst auf dem Feld einen Fußabdruck isolieren, der keinem von den Tulpengärtnern gehörte, ein Stiefelabdruck Größe dreiundvierzig, Gummistiefel mit grobrippigen Sohlen. Wenn der Täter die getragen hat, kam er aus einem Birkenwäldchen am Rand der Farm und ging über die Felder zu dem Gewächshaus. Aber in dem Wald hatte sich der Boden längst wieder erholt.«
»Und der Täter kann keiner von Heleens Kollegen gewesen sein?«, hakte der Commissaris nach.
»Nein, von denen hat keiner ein Motiv und jeder ein Alibi, das wir schon überprüft haben.«
»Was ist mit der Familie, den Verwandten und Freunden?«
»Heleen Soeteman lebte allein, in einer Einzimmerwohnung, und soweit wir wissen, hatte sie keine Familie. Geschieden. Keine Eltern mehr und keine Kinder. Auch keine Freunde bis auf einen, einen jungen Tankwart – Pim Verhoeven –, mit dem sie sich gelegentlich getroffen hat.«
»Was ist mit dem geschiedenen Mann?«
»Zwischen den beiden gab es keinen Kontakt mehr, schon seit Jahren nicht. Er heißt Alex Carlsen und lebt irgendwo anders, in Den Haag oder Utrecht.«
Der Commissaris ließ seinen Blick durch sein Büro wandern – von dem zerkratzten Aktenschrank unter dem Ajax-Poster zu der Topfpalme in der Ecke und zurück zu seinem Schreibtisch –, während er überlegte, wie er die nächste Frage möglichst geschickt formulierte. »Sag mal, Jan«, fiel er dann doch einfach mit der Tür ins Haus, »hättest du etwas dagegen, wenn ich mich selbst malein bisschen bei euch umsehe, am Tatort und in der Wohnung des Opfers? Und mit diesem Pim Verhoeven würde ich auch gern sprechen …«
»Wonach suchst du denn?«, fragte Sinnege, jetzt deutlich reservierter, zurück.
Der Commissaris dachte: Eine gute Frage. Wonach suche ich überhaupt? Er betrachtete das Durcheinander auf seinem Schreibtisch: Da lagen die Akten zu den Fällen Zuiker und Wu, aber auch zu den wichtigsten Fällen der anderen Dezernate, Amtshilfeersuchen, Klageanträge, Verhörprotokolle, Tatort-Polaroids, außerdem die Berichte des Labors, des Pathologen und der Spurensicherung, sein aufgeklappter Terminkalender und die Liste der im Dienstbuch verzeichneten Vorkommnisse der vergangenen Nacht – ein Raubüberfall auf eine Agip -Tankstelle in der Nähe des ne Mo, ein Handtaschenraub in der Metrostation Van der Madeweg, ein halbes Dutzend Schlägereien auf den Wallen . Ein Wirtschaftsanwalt war tot in seiner Wohnung an der Panama-Laan gefunden worden, Herzstillstand, der Fernseher lief noch; zwei Afrikaner ohne Einreisepapiere hatten sich bei den Oosterdokks der Festnahme entzogen; auf einer Polizeiwache in Slotervaart hatte ein Jugendlicher zwei Streifenpolizisten mit einem Messer lebensgefährlich verletzt, und bei Verkehrskontrollen waren den Agenten mehrere betrunkene Scooterfahrer ins Netz gegangen, eine ganz normale Nacht in Amsterdam also.
Der Commissaris sagte: »Ich suche nach Parallelen zu unserem Fall hier, nach Beweisen dafür, das es sich um ein und denselben Täter handelt. Nach irgendetwas Ungewöhnlichem, das mir hilft, die ausgetretenen Pfade zu verlassen, auf die wir Polizisten aus Bequemlichkeit so schnell geraten.«
»Wir haben nichts Ungewöhnliches in der Wohnung entdeckt, auch an ihrem Arbeitsplatz nicht.«
»Also auch keine Pistole oder eine andere Waffe?«
»Nein, was
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