Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
Vom Netzwerk:
geistlosen, dummen, flammenden Wahnsinn, der das Gehirn zerfetzt und die Seele herumschleudert. Man ist buchstäblich nicht mehr Herr seiner Sinne – seiner Sinne und seines Körpers – und tut Dinge, auf die man später nur mit Schaudern zurückschauen kann. So ein starkes Gefühl ist die Eifersucht.«
    Er wusste, wovon er sprach.

21
    Es war ein kleines Zimmer mit einem kleinen, armseligen Geruch. Es roch nach Einsamkeit und nach der Krankheit, die in dieser Einsamkeit einen Menschen langsam zerfressen hatte. Die schräg hängende Holzjalousie des einzigen Fensters war halb heruntergelassen, sodass der Raum auch mittags im Halbdunkel lag. Der Commissaris versuchte, die Jalousie hochzuziehen, aber sie klemmte. Das Fenster ging auf die Rückseite eines alten Kaufmannspalastes am Ufer der Nieuwe Gracht, und es fiel hier hinter dieser schräg hängenden Jalousie nicht schwer, sich vorzustellen, dass Heleen Soeteman von allem immer nur die Rückseite zu sehen bekommenhatte, sogar von ihrem eigenen Leben. Das und die halb vertrockneten Topfgeranien auf dem Fensterbrett, dachte Van Leeuwen.
    Neben dem Fenster stand ein schmales Bett mit einer durchgelegenen Matratze und einer fransenverzierten Patchwork-Decke aus dunkelroter und hellgrüner Baumwolle. Auf einer schweren Bauernkommode mit schmiedeeisernen Griffen an den Schubladen stand eine Windmühle aus Keramik, über deren Plastikräder ein dünnes Rinnsal trüben Wassers plätscherte und dafür sorgte, dass die Flügel sich drehten. Es gab einen Kleiderschrank aus dunkel gebeizter Eiche, der nicht zu der Kommode passte, außerdem einen runden Beistelltisch mit einem Mosaik aus bemalten Muscheln in der Platte und einen mit abgewetztem Samt bespannten Sessel, von dem aus man auf einen kleinen Fernseher mit einer Zimmerantenne schauen konnte.
    Unter dem Tisch stand ein altmodisches Schnurtelefon. Eine spanische Wand verbarg die Kochnische, eine angelehnte Tür führte zu Dusche und Toilette. Der Commissaris knipste das Licht an. An der Leiste für den Duschvorhang hing ein dunkelblaues Kleid und warf einen scharfen Schatten wie ein Gehängter ohne Kopf. Auf dem Kachelboden vor der Duschzelle lag ein einzelner, umgekippter Hausschuh. Der Commissaris knipste das Licht wieder aus.
    Er öffnete den Schrank und zog alle Schubladen der Kommode heraus. Er durchsuchte die sauber zusammengefalteten Blusen, die Unterwäsche und die Kleider und Jacken. Er fand kein Tagebuch, keine Briefe. Er fand keine CD mit dem Titel Help me if you can und kein Manifest, keine verzweifelten Hilferufe aus dem Internet. Er fand auch keinen Computer mit eingegangenen oder verschickten E-Mails, keine Versicherungsunterlagen, kein Testament.
    Die Wohnung war so klein, dass Gallo, Vreeling und Julika in der Diele zurückgeblieben waren, um Van Leeuwen nicht im Weg zu stehen. Er setzte sich
     auf das Bett und schob die Hand unter die Matratze. Keine Walther PPK , Glock oder SIG Sauer,
     natürlich nicht. Er betrachtete das Telefon. »Ich will eine Liste der Gespräche haben, die von diesem Apparat aus geführt worden sind«, sagteer. »Uhrzeit, Teilnehmer und Häufigkeit der jeweiligen Verbindungen.«
    Das Telefon hatte eine Wahlwiederholungstaste; er drückte sie und lauschte in den Hörer. Schon nach dem zweiten Klingeln kam eine Verbindung zustande. »Hallo?«, sagte eine Männerstimme.
    »Hallo«, sagte Van Leeuwen. »Mit wem spreche ich?«
    »Mit Pim«, antwortete die Stimme. Im Hintergrund schien ein Radio zu laufen, Werbung, und ein Automotor, der lauter und wieder leiser wurde. »Von der Total- Tankstelle«, ergänzte die Stimme. Sie klang so lebhaft wie der elektronische Ansagetext einer Mailbox.
     
    »Können Sie mir sagen, wie ich zu Ihnen komme?«, fragte Van Leeuwen.
    »Von wo aus denn?«
    »Haarlem.«
    »Ach, das ist ganz einfach …« Während der Junge, Pim Verhoeven, den Weg zu seiner Tankstelle beschrieb, fiel Van Leeuwens Blick auf einen Stapel Altpapier in der Kochnische, unter der Eisenspüle. Er legte auf, war mit zwei kurzen Schritten bei der Nische und schob den mit kleinen gelben Rosen auf schwarzem Grund bemalten Paravent beiseite. Der Stapel war nicht sehr hoch, vor allem Zeitungen, darunter mehrere Ausgaben von De Avond! , die Van Leeuwen schon kannte. Das Bild von Klaas van der Meer auf einer davon war mit wirrem Kugelschreibergekraksel fast unkenntlich gemacht worden. Van Leeuwen hielt die Ausgabe hoch und fragte: »Werden die hier auch verkauft oder gratis verteilt?

Weitere Kostenlose Bücher