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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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Kopf. Er schloss die Augen, und als er sie wieder öffnete, sah er Van Leeuwen an. »Sie sagte, sie könnte es nicht mehr ertragen. Sie könnte die Schmerzen nicht mehr ertragen. Sie hatte schreckliche Schmerzen, wissen Sie, die immer schlimmer wurden. Es war in der Nacht, bevor sie … vor ihrem Tod … Sie konnte nicht schlafen. Sie konnte oft nicht schlafen, und manchmal haben wir die ganze Nacht durch telefoniert. Sie hatte Krebs, im Endstadium. Weil sie so viel hat leiden müssen in ihrem Leben.«
    »Woher kannten Sie sich?«
    »Sie hat sich bei mir versteckt.« Verhoeven sprach so leise, dass der Commissaris sich unwillkürlich näher an die Theke beugte, und auch Gallo trat aus dem hinteren Teil des Raumes nach vorn zur Kasse. »Vor ihrem Mann. Weil er sie wieder geschlagen hatte, im Auto, beim Fahren. Sie hat ihm gesagt, sie müsste mal, und als er angehalten hat, ist sie weggelaufen. Ich konnte sehen, wo sie sich versteckt hat, aber ich habe ihm nichts verraten. Die Seitenscheibe war noch blutig, weil er ihren Kopf dagegengestoßen hatte. Er ist dann weitergefahren, und ich habe ihr was zum Verbinden gegeben, Pflaster und so. So haben wir uns kennengelernt.«
    »Wann war das?«
    »Vor vier Jahren. Danach kam sie öfters vorbei, mit ihrem Fahrrad, auf dem Weg zur Arbeit.«
    »Und er – ist er auch noch mal wiedergekommen?«
    »Nein. Sie hat ihn … als sie so krank wurde, hat sie ihn verlassen.«
    »Sie hat ihn verlassen?«, vergewisserte sich Gallo. »Nicht er sie?«
    Der junge Mann nickte und wischte sich die Nase mit dem Handrücken. Er sah zur Tür hinüber, durch die Julika den Kassenraum betrat. Als der Commissaris sich umdrehte, deutete sie ein Kopfschütteln an.
    »Wissen Sie, wo er heute lebt?«, fragte Gallo.
    »Nein. Er arbeitet als Kellner, und damals – als er Heleen kennengelernt hat –, war er in einem Striplokal beschäftigt, in Rotterdam. Das hat sie mir mal erzählt, dass er Kellner war und in Clubs bediente. Aber wo er jetzt lebt – keine Ahnung …«
    »Hat sie damals auch im Rotlichtmilieu gearbeitet?«, wollte Gallo wissen.
    Verhoeven wischte sich wieder mit dem Handrücken die Nase und blickte mit seinen glanzlosen Augen durch die schmutzige Scheibe auf die Straße und die vorbeifahrenden Wohnmobile und Cabriolets. Die Autos fuhren schnell und zu dicht hintereinander, und keins hielt an, um zu tanken. Verhoeven sagte: »Sie war damals … sie war eben noch sehr jung.«
    »Als Prostituierte?«, hakte Gallo nach.
    Der junge Mann meinte: »Nein, nicht als Prostituierte. Es war mehr – sie hat die Männer animiert, hat mit ihnen Champagner getrunken, in einem schönen Kleid mit Schlitzen an der Seite, und nur weil der Abend so schön war, so gemütlich, ist sie mit ihnen intim geworden, und sie haben ihr dann ein Geschenk gemacht. Er hat gesagt, er holt sie da raus, ihr Mann, aber es wäre ihr besser gegangen … wenn sie ihm nicht geglaubt und ihn nicht geheiratet hätte, wäre es ihr besser gegangen.«
    »Wie ist es ihr denn ergangen?«, fragte Gallo.
    Der junge Mann sah weiter durch die Scheibe hinaus, und die Autos fuhren nicht nur draußen auf der Straße, sondern auch als kleine, verkrümmte Spiegelbilder über seine Brillengläser. »Er hat sie an den Haaren durch die Wohnung gezerrt. Er hat sie aufs Bett geworfen und vergewaltigt. Er hat sie in den Bauch geschlagen und auf die Ohren und auf den Mund. Er hat sie gewürgt, ihr die Bluse am Hals zugedreht, bis sie beinahe erstickt wäre. Er hat ihr dasEssen vor die Füße gekippt, und sie musste es aufwischen. Er hat mit Ravioli-Dosen nach ihr geworfen und ihr zwei Finger gebrochen. Er hat einen Kristall-Aschenbecher an ihrer Stirn zerschlagen. Jeden Tag – jeden Tag war das so, manchmal schon morgens, und wenn nicht am Morgen, dann am Mittag, und wenn nicht mittags, dann am Abend …«
    »Warum hat er das getan?«, wollte Julika hinter Van Leeuwen wissen. Jetzt klang auch ihre Stimme so, als wäre sie vorher aufgezeichnet oder elektronisch zusammengesetzt worden.
    Der junge Mann sah weiter hinaus, und die Autos fuhren nach Zandvoort und Leiden und über seine Brillengläser, und es schien, als wartete er darauf, dass eins von ihnen anhielt, mit Blut an der Seitenscheibe, dass Heleen herauslief, um sich bei ihm zu verstecken; um von ihm gerettet zu werden. »Warum er das getan hat?«, wiederholte er. »Weil sie das Licht in der Abstellkammer angelassen hatte. Weil sie ihm das Essen zu heiß oder zu kalt hinstellte. Weil sie zu

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