TotenEngel
Sie, ob sie in letzter Zeit mal in Amsterdam war?«
Verhoeven schüttelte den Kopf. »Bestimmt war sie das, doch erwähnt hat sie es nicht.«
»Was ist mit den Namen Gerrit Zuiker oder Pieter Hoekstra – hat sie die mal erwähnt?«
»Nein.«
»Waren Sie in Amsterdam?«, fragte Gallo, »vielleicht vor anderthalb Wochen, nachts, in de wallen? Haben Sie einen durchsichtigen Regenmantel aus Plastik?«
»Nein, nein – wieso denn? Was wollen Sie denn von mir?«
»Vielleicht das hier«, sagte Inspecteur Vreeling an der Tür zum Kassenhäuschen. Keiner hatte gehört, wie er hereingekommen war, aber da stand er, und in der Hand hielt er ein Paar mitgetrockneter Erde verklebter Gummistiefel. »Vielleicht wollen wir, dass Sie uns erklären, ob Ihnen diese Stiefel der Größe dreiundvierzig gehören.«
Der junge Mann starrte die Stiefel an, und seine Unterlippe zitterte plötzlich. »Wo haben Sie die her?«, wollte er überrascht wissen. »Das sind nicht meine.«
»Die standen in der Waschstraße, hinter einem Behälter mit Scheibenreiniger«, erklärte Inspecteur Vreeling. »Wenn es nicht Ihre sind, wem gehören sie dann?«
»Das sind wahrscheinlich … die gehören wahrscheinlich Dick«, antwortete Verhoeven. »Er arbeitet auch hier. Zurzeit hat er die Nachtschicht.«
»Eintüten und mitnehmen«, sagte der Commissaris zu Vreeling. »Die Kollegen in Haarlem sollen sie untersuchen.« Er wandte sich wieder an Verhoeven und deutete auf einen Block, der neben der Kasse lag. »Wir benötigen den Namen und die Adresse Ihres Kollegen. Wer außer Ihnen war noch mit Heleen Soeteman befreundet?«
»Sie hatte keine anderen Freunde«, erwiderte der junge Mann jetzt fast trotzig, während er etwas auf den Block kritzelte, einen Namen und eine Adresse. »Erst hat ihr Mann alle vertrieben und dann die Krankheit.«
»Sie hat mit einer Krebshilfegruppe korrespondiert«, wandte der Commissaris ein. »Könnte es sein, dass dadurch ein Kontakt zustande gekommen ist, von dem Sie nichts wissen?«
Verhoeven überlegte. »Da war jemand«, sagte er bedächtig, »ein Mann … Sie hat einmal erzählt, sie hätte jemand kennengelernt, der ihr vielleicht helfen könnte. Sie war sogar ganz aufgeregt deswegen … Aber seinen Namen hat sie nicht genannt. Sie hat ihn danach auch nie wieder erwähnt, und ich wusste, dass es … dass es nichts Persönliches war. Als Freund hatte sie nur mich!«
Julika sagte: »Und Sie hatten auch niemand außer ihr, nicht?« Ihre Stimme klang jetzt wieder normal, aber noch immer konnte man die andere Julika in ihren Augen sehen. »Wie war Ihr Verhältnis eigentlich genau?«
Der junge Mann schwieg. Er blickte wieder durch die Scheibe hinaus auf die Straße. Eins der wie Weberschiffchen vorbeirasenden Autos drosselte das Tempo und bog von der Fahrbahn auf das Tankstellengelände. »Ich war ihr Freund«, antwortete Verhoeven, »ihr einziger Freund.«
»Warum gerade Sie?«
»Ich wusste, was sie … ich habe sie verstanden – ich …«
»Sind Sie auch geschlagen worden als Kind?«, fragte Julika. Sie rührte sich nicht von der Stelle, breitete nur ihre Hände aus. »Haben Sie sie deswegen so gut verstanden?«
Der junge Mann schien einen Moment den Atem anzuhalten, als hörte er in sich hinein, als versuchte er, seiner eigenen Seele zu lauschen oder sie auch nur zu finden. »Ich muss wieder an die Arbeit«, sagte er dann leise. »Windschutzscheiben putzen gehört zum Service.«
22
Das ist der Mann, den wir suchen müssen , dachte der Commissaris: der unbekannte Mann, dessentwegen Heleen Soeteman so aufgeregt war, weil er ihr helfen konnte. Aber wo hat sie ihn kennengelernt? Er stellte sich vor, wie der Mann aus dem Birkenwäldchen trat und über den Acker auf das Gewächshaus zuging, an den Füßen Gummistiefel der Größe dreiundvierzig. Er sah einen Mann ohne Gesicht in einem durchsichtigen Regenmantel mit einer Baseballkappe, und er fragte sich: Hat auch Gerrit Zuiker diesen Mann kennengelernt?
Sie fuhren schweigend zurück nach Haarlem. Zu beiden Seiten der Landstraße stand der Mais hoch, und die vom Wind zerzausten Felder waren rostrot im Licht der Nachmittagssonne. Über den Spitzen der großen Blätter konnte Van Leeuwen eine Pappelreihe sehen und dann einen Kirchturm, um den weiße Seevögel kreisten. Die Sonne schien von der Seite in den Wagen, ihr Licht wechselte sich mit dem Schatten der Maisstauden ab. Ein Wohnmobil mit deutschem Kennzeichen blockierte die Sicht auf die nächste Kurve,und Gallo
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