TotenEngel
überdachten Zapfsäulen und der Waschstraße. Hinter der Waschanlage standein Motorrad aufgebockt, eine Motoguzzi, deren Lenkgriffe hochragten wie ein Geweih. Auch die Scheiben des Kassenhäuschens hätten eine Wäsche vertragen können. Eine Videoüberwachungskamera war auf den leeren Asphalthof und die Zapfsäulen vor dem Kassenhäuschen gerichtet. Überall schillerten Ölflecken im Schein fast unsichtbar flackernder Neonröhren unter dem Betondach.
Der Commissaris stieg aus dem Wagen und sagte: »Ton, du kommst mit rein. Brigadier Tambur, du und Inspecteur Vreeling, ihr schaut euch ein bisschen um, nicht zu auffällig, aber sorgfältig.«
»Wonach suchen wir?«, fragte Julika.
»Gummistiefel mit grobrippigen Sohlen, Größe dreiundvierzig«, antwortete der Commissaris, »Plastiktüten, was auch immer, keine Ahnung.«
»Ich dachte, Pim Verhoeven war Heleens einziger Freund?«, wandte Julika ein.
»Freunde haben Mitleid«, sagte der Commissaris, »wenn das Opium nicht mehr wirkt.« Gallo und er betraten das Kassenhäuschen, an dessen Decke weitere Neonröhren summten und leise klickten wie ein Insekt, das gegen eine Glasscheibe fliegt. Drei davon brannten unterschiedlich hell, in den anderen gab es nur gelegentlich ein fahl zuckendes Leuchten.
An der Kasse stand ein junger Mann mit spröden blonden Haaren und grünen, sorgenvollen Augen, die keinen Glanz hatten. Seine Hände waren schmutzig, die Knöchel verschorft und die Fingernägel abgekaut. Er trug eine Brille mit runden, edelstahlgerahmten Gläsern und einen Total -Overall, der ihm zu groß war, sodass er an das Kostüm eines Clowns erinnerte. Sommersprossen bedeckten das Gesicht des jungen Mannes wie helle Lehmspritzer. Sein Blick klebte an einem Fernseher mit gestörtem Empfang, dessen Bildschirm unverändert denselben Sandsturm aus statischen Lichtpunkten zeigte, sooft er auch mit der Fernbedienung den Sender wechselte: pulsierendes Licht, in dem geisterhafte Gestalten von dem elektronischen Sturm verzerrt wurden und in übersteuertem Total -Blau und Rot abgehackte Laute ohne erkennbaren Ursprung von sich gaben.
»Hallo«, begann der Commissaris. »Sind Sie Pim Verhoeven?«
»Jau«, antwortete der junge Mann, ohne den Blick von dem Fernseher zu lösen, »bin ich.«
»Fein«, sagte der Commissaris. »Ich bin Commissaris Bruno van Leeuwen vom Hoofdbureau van Politie in Amsterdam. Und das ist mein Kollege, Hoofdinspecteur Anton Gallo.«
Pim Verhoeven drückte weiter einen Knopf nach dem anderen auf der Fernbedienung und wechselte die Programme immer schneller, als hätte er sich vorgenommen, die Lichtgeschwindigkeit außer Kraft zu setzen. Auf einem Hocker neben dem Fernsehapparat lag ein Motorradhelm mit der leuchtend roten Aufschrift Easy Rider .
»Wir untersuchen den Tod von Heleen Soeteman«, fuhr der Commissaris fort.
»Er war es«, sagte der junge Mann, ohne seine sorgenvollen Augen von den surrealen Geisterwesen auf dem Bildschirm zu lösen.
»Wer war was?«, fragte Gallo. Er hatte angefangen, das Sortiment von Motoröl-Dosen, Warnkreuzen, Erste-Hilfe-Kästen, Blinkerverglasungen und Scheibenwischerblättern in den Regalen zu inspizieren, aber jetzt blieb er stehen und schaute zur Kassentheke hinüber.
»Ihr Mann«, sagte Pim Verhoeven. »Er hat sie getötet.« Seine Stimme klang immer noch wie am Telefon, wie vorher aufgezeichnet und von einem Apparat wiedergegeben.
»Meinen Sie Alex Carlsen, Heleen Soetemans Exmann?«, fragte der Commissaris.
»Er hat sie gefunden und umgebracht.«
»Hatte sie noch Kontakt zu ihm? Hat er sie bedroht?«
»Er hat sie verprügelt, genau wie ihr Vater. Die ganze Zeit, während sie verheiratet waren, hat er sie geschlagen. Deswegen ist sie so krank geworden.«
Der Commissaris beugte sich über die Kassentheke, nahm Verhoeven die Fernbedienung aus der Hand und schaltete den Fernseher aus. »Sie waren doch mit Heleen Soeteman befreundet«, fuhrer fort. »Sie hat Sie vor Ihrem Tod von zu Hause aus angerufen. Wissen Sie noch, wann das war?«
Der junge Mann starrte weiter auf den Bildschirm, mit halb offenem Mund, als könnte er nicht glauben, dass es so einfach war, die Geister loszuwerden. »Sie hat mich oft angerufen«, erklärte er, und endlich kehrte Leben in seine Stimme zurück. »Wir haben fast jeden Tag telefoniert.«
Van Leeuwen legte die Fernbedienung auf die Theke. »Und das letzte Mal?«, fragte er noch einmal. »Wann war das? Worüber haben Sie gesprochen?«
Der junge Mann schüttelte den
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