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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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zu zittern. Gallo und Vreeling hatten den Wagen verlassen und betrachteten die Schneise, die er in den Mais geschlagen hatte. Van Leeuwen pflückte einen der reifen Kolben, roch daran und biss hinein. Julika sah ihn feindselig an, wie ein zorniger Schwan. »Manchmal sind Sie einfach unglaublich!«, sagte sie.
    »Ich weiß«, sagte er, milde gestimmt von einem Mund voll süßer Maiskörner.

23
    Die Privatklinik Doktor van der Meer lag oberhalb der sandigen Dünen in der Abenddämmerung, und die geschwungene Auffahrt zum Eingangsportal war von sanft glühenden Laternen gesäumt. Die Sandsteinfassade mit den ziegelrot eingefassten Fenstern erinnerte an ein Kurhotel aus dem neunzehnten Jahrhundert. Das ziegelgedeckte Dach war mit einem kleinen Türmchen geschmückt, auf dem sich ein Wetterhahn im salzigen Ostwind drehte. Das Metallscharnier des Hahns kreischte bei jeder Drehung, oder vielleicht waren es auch die Möwen, die einander zuriefen, dass es Zeit zum Schlafen sei.
    Die Nordsee wölbte sich wie flüssiges Blei und lief in langen Wellen auf den Strand hinter dem Klinikgebäude zu. Der Himmel war weit draußen über dem Wasser noch hell, aber über dem Landwurde er bereits dunkel. Von der Küstenstraße zwischen Zandvoort und dem Naturschutzgebiet führte die mit Kies bestreute Auffahrt durch ein Tor aus schwarzem Schmiedeeisen zu dem dreistöckigen Haupthaus, das mit seinen erleuchteten Fenstern wie eine von Gras und Strandhafer umgebene Fata Morgana aussah: das Schloss des Doktor Death .
    Der Commissaris ließ sich am Straßenrand absetzen und sah noch zu, wie der Dienstgolf umkehrte und mit dem melancholisch tröpfelnden Verkehrsfluss zurück nach Haarlem rollte. Er wollte, dass die an der Tankstelle entdeckten Gummistiefel Größe dreiundvierzig heute noch bei den Kollegen in Haarlem abgeliefert wurden. Der Kies knirschte unter seinen Schuhen, als er die Zufahrt hinaufging. Das Herz wurde ihm schwer bei der Vorstellung, ein Krankenhaus betreten zu müssen.
    Der Wind sang auf den Dünen. Das Riedgras wurde an die sandigen Hügel gepresst, und die Luft roch nach Jod und Salz. Das Meer schien zu atmen. Die Wellen leckten über den dunklen Strand nach einem Boot, das kieloben am Fuß einer Düne lag. Über der Kimm ballten sich Wolken von dunklem Rot und tiefem Blau zu einem zerklüfteten Gebirge, hinter dessen Zügen langsam das kupferne Nachglühen der bereits versunkenen Sonne erlosch. Es war erst kurz vor sechs am Nachmittag, und trotzdem wurde es schon Nacht. Bald begann der Winter. Es war der erste Winter ohne Simone.
    Van Leeuwen ging über den Kies und dann die Treppe zum Eingang hinauf und durch das Foyer in den ersten Stock, wo er vom Direktor in seinem Büro erwartet wurde. »Erinnern Sie sich noch an mich, Mijnheer van der Meer?«, fragte er.
    »Natürlich erinnere ich mich an Sie«, polterte Klaas van der Meer und winkte den Commissaris näher, ohne hinter seinem Schreibtisch hervorzutreten. »Sie waren der Polizist, der mich vor einigen Jahren verhaftet hat. Was für eine Chance für einen Beamten, der Karriere machen will! Sie müssen dabei viel gelernt haben.«
    Der Arzt hatte den kantigen, scharf geschnittenen Kopf einer Schildkröte, der auf einem hageren Körper saß. Die weißen Haarewaren so kurz geschoren wie die grauen Bartstoppeln. Die Augen ließen an Zwillingsgeschütze denken: Auf den ersten Blick entging einem ihre Farbe, weil man viel zu sehr damit beschäftigt war, ihr Kaliber zu erraten. Tiefe Gräben furchten die lederne Haut und verloren sich in einem faltigen, dürren Hals, aber es war vor allem die Nase, die dem aus Horn gebildeten Haken einer Schildkröte ähnelte.
    Seine Kleidung war achtlos gewählt: Unter dem offenen Kittel trug er ausgebeulte braune Cordhosen und einen fadenscheinigen gelben Pullover, dessen Ausschnitt nur einen zerknitterten, hellblauen Kragenflügel sehen ließ. Der maschinell geknüpfte Knoten eines grün und rot karierten Ansteckschlipses hing, schräg nach unten verrutscht, zwischen dem sichtbaren und dem unsichtbaren Kragenflügel. Die Füße steckten in ausgetretenen Turnschuhen mit Gummisohlen.
    Van der Meers Blick wanderte von Van Leeuwens Gesicht zurück zu einem Fernseher auf einer Metallkonsole neben seinem Schreibtisch. Der Bildschirm zeigte eine attraktive junge Frau, die in einem hautengen Outdoor-Anzug eine Felswand hinaufkletterte, gefilmt von einer Videokamera, unruhig, wie ein Hobbyfilm. Die junge Frau bewegte sich geschmeidig und

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