Totenfeuer
vorsichtiger sein, wenn ihr es in der Tiefgarage treibt!«
»Wer behauptet denn so was? Ich habe nie … ach, das habe ich doch gar nicht nötig, mich zu derart kindischem Geschwätz zu äußern.«
»Dann ist es ja gut.«
»Und nur damit du Bescheid weißt: Er hat gestern seine Frau verlassen und ist bei mir eingezogen.« Bereits eine Millisekunde, nachdem sie die Worte ausgesprochen hat, bereut sie sie auch schon. Verdammt, sie hat sich von Fernando provozieren lassen.
Dieser schaut sie verblüfft an. »Ist das wahr?«
»He, pass doch auf!« Beinahe wäre Fernando in den Graben gefahren. »Ich möchte nicht, dass du es gleich an die große Glocke hängst, klar?« Jule schaut in den Rückspiegel. Hinter ihnen fährt ein Streifenwagen. Falls die Kollegen Fernandos Manöver überhaupt mitbekommen haben, scheint es sie nicht zu interessieren.
»Klar«, sagt Fernando. Dann herrscht angespanntes Schweigen im Wagen. Der Schauer hat sie eingeholt, Regennadeln erschweren die Sicht. Auf der Höhe der »amerikanischen Botschaft«, wie Bodo Völxen die McDonald’s -Filiale zu nennen pflegt, begegnet ihnen ein weiterer Streifenwagen, und als sie an der Kirche vorbeifahren, ein dritter.
»Hier muss ein Nest sein«, bemerkt Fernando. »Was da wohl los ist?«
»Frau Krischtensen! Sie kommen zu spät, ich bin schon fertig«, begrüßt der kleine weißhaarige Rechtsmediziner die Kommissarin. Sie stehen vor der Tür zum Seziersaal. »Aber des macht nix, i schreib ins Protokoll, dass Sie bei der Obduktion anwesend waren. So a verbrannte Leich’ isch ja wirklich koi schöner Anblick, des verschteh i scho.«
»Herr Dr. Bächle, ich komme nicht wegen dieser Leiche, ich …« Oda merkt, wie heiße Wellen durch ihren Körper jagen. Aber jetzt gibt es kein Zurück mehr. »… ich habe ein privates Anliegen.«
Dr. Bächle furcht seine Denkerstirn noch stärker als sonst und sieht sie erwartungsvoll an. »No, raus damit!«
Oda weiß nicht, wie sie anfangen soll. Dr. Bächle bemerkt ihre Verlegenheit und bittet sie in sein Büro. Sie dürfe dort auch rauchen. »Ausnahmsweise, weil Sie ’s sind. Warten S’, i hol Ihne’ an Kaffee.«
Oda folgt ihm den Gang hinunter in sein kleines Reich. Der Schreibtisch ist tadellos aufgeräumt, in den Regalen ordentlich aufgereihte Fachliteratur. Nichts Persönliches, keine Fotos, nur ein Wandkalender von einer Pharmafirma. Die schönsten Golfplätze . Obwohl man schon seit Jahren miteinander zu tun hat, weiß Oda von Dr. Bächle eigentlich nur, dass er aus Stuttgart stammt, ledig ist und neuerdings Golf spielt.
Er serviert ihr den Kaffee, und Oda verzichtet ihm zuliebe auf den Zigarillo, obwohl gerade jetzt der Drang danach geradezu überwältigend ist. Sie holt die Tüte aus der Handtasche. »Könnten Sie für mich irgendwie unter der Hand eine Haaranalyse durchführen?«
»Worum geht es?«
»Um den Nachweis von Drogen, vorzugsweise Kokain. Ich komme auch für die Kosten auf. Es sollte nur unter uns bleiben.« Beschämt senkt Oda den Blick in ihre Tasse.
»Geht es um Ihre Tochter?«, ahnt Dr. Bächle.
Oda nickt. »Ich weiß mir keinen anderen Rat. Wenn ich sie falsch verdächtige, bin ich die böse Polizistenmutter, dann hängt der Haussegen für alle Zeiten schief. Deshalb hätte ich einfach gerne Gewissheit.«
»Aber Frau Krischtensen, Ihre Tochter isch doch so ein famoses junges Fräulein. Will sie nicht sogar Medizin schdudieren?«, erinnert sich Dr. Bächle. »Jedenfalls hat sie letztes Jahr bei der Obduktion eine sehr gute Figur gemacht.«
»Ja, schon«, sagt Oda. »Aber der Umgang, den sie in letzter Zeit hat …«
Dr. Bächle seufzt. »Selbschtverschtändlich mach i die Analyse für Sie. Aber beschtimmt irren Sie sich.«
»Ich hoffe es«, sagt Oda und steht auf. Sie fühlt sich unwohl, und sie möchte jetzt so rasch wie möglich dieses Büro verlassen. »Ich danke Ihnen«, sagt sie und merkt, wie sie den Tränen schon wieder bedenklich nahe ist.
»Moment! I hob no ebbes für Sie!« Bächle verschwindet kurz im Seziersaal und kommt mit einem durchsichtigen Plastikbeutel in der Hand zurück. »Des isch die Uhr von Ihrer Leich’. Eine goldene Omega . Vielleicht hilft se Ihne’ weiter, bis die DNA -Analyse fertig ischt.«
»Bestimmt. Ich danke Ihnen.«
»Sie goht aber nimmer, ’s Glas isch hi’.«
»Wie bitte?«
»Sie geht nicht mehr, das Glas ischt kaputt«, übersetzt Bächle sich selbst.
Rasch verlässt Oda das Rechtsmedizinische Institut. Auf dem Weg zum Parkplatz
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