Totenfeuer
zündet sie sich mit flatternden Händen einen Zigarillo an. Sie hat ganz vergessen zu fragen, wie lange diese Haaruntersuchung dauern wird.
Roland Felks Haus im alten Dorfkern ist ein einstöckiger, älterer Bau, der mit einer dicken Isolierschicht versehen und neu verputzt wurde. Er liegt bescheiden geduckt und etwas nach hinten versetzt zwischen zwei größeren Gebäuden. Die Stirnseite ziert ein Spalierbaum mit unzähligen weißen Blüten, in denen Bienen summen. Hinter dem Haus befindet sich der Garten, in dem eine Mischung aus Blumen, Sträuchern, Gemüse und Kräutern wächst. Die einzelnen Beete sind durch niedrige Buchsbaumhecken voneinander abgetrennt, ein Weg aus kleinen Pflastersteinen läuft in verspieltem Bogen auf einen Teich zu, in den ein kleiner Wasserlauf mündet. Jule muss sich eingestehen, dass dieser Garten um einiges schöner ist als der ihres Elternhauses in Bothfeld, den ein eigens angeheuerter Gartenarchitekt letztes Jahr auf Japanisch getrimmt hat. Auf einer Bank neben der Haustür sitzt Anna Felk.
»Ist das die Tochter? Was will die denn hier?«, fragt Jule.
»Keine Ahnung«, bekennt Fernando. »Eigentlich wollte ihr Völxen die Todesnachricht schonend überbringen.«
Anna Felk starrt auf ihre bestickten Mokassins und blickt erst auf, als die beiden Beamten vor ihr stehen. Ihre Lider sind rot und geschwollen, aber sie bemüht sich um Haltung.
Jule stellt sich vor und spricht der jungen Frau ihr Beileid aus.
»Herr Völxen hat mich hier abgesetzt. Ich soll Ihnen sagen, ob eventuell was fehlt«, erklärt sie.
»Warum ist er nicht mitgekommen?«, wundert sich Fernando.
»Er sagte, er müsse noch was Dringendes erledigen und würde Sie dann anrufen.« Sie steht auf und geht durch die Haustür.
Fernando und Jule wechseln einen erstaunten Blick, ehe sie der jungen Frau folgen.
Das kleine Haus wurde offenbar gründlich modernisiert. Der Kaminofen in der Mitte hat ein hippes Design. Dem Zeitgeist gehorchend sind Küche, Ess- und Wohnzimmer eine Einheit. Die Decke wurde herausgenommen, man hat einen freien Blick auf die dunklen alten Dachbalken, den Boden bedecken breite Landhausdielen. Die Einrichtung ist in ruhigen, warmen Erdfarben gehalten, die Wände sehen aus, als würde noch Farbe fehlen. »Das ist Lehmputz«, erklärt Anna, der Jules Blick nicht entgangen ist. »Es ist ein Niedrigenergiehaus.«
Einziger Farbtupfer ist ein riesiges rotes Sofa, von dem aus man einen Blick auf einen Fernseher älterer Bauart hat. In einem verglasten Erker stehen ein antiker Schreibtisch aus Mahagoni und Pflanzen in Tonkübeln. Fernando bewundert die edle Stereoanlage von Bang & Olufsen . Dazu gibt es eine respektable Sammlung von CD s – Jazz, Weltmusik, Klassik – und zwei hohe Bücherregale: medizinische Fachbücher neben Werken aus allen nur denkbaren Bereichen der Esoterik und einer Handvoll Fantasyromanen.
Bis auf eine Tasse und eine Müslischale in der Spüle ist die Küche sauber und aufgeräumt, ebenso der Rest des Zimmers. Jule fällt auf, dass es nirgends einen Computer gibt. »Besitzt Ihr Vater einen Laptop?«, fragt sie Anna.
»Soweit ich weiß, nicht. Aber es gibt einen Computer in der Praxis.«
»Chic hier«, bemerkt Fernando.
»Nachdem meine Mutter gestorben ist, hat er alles renoviert und verändert, sonst hätte er es hier nicht ausgehalten. Einige von den alten Möbeln habe ich behalten. Mein früheres Zimmer ist jetzt die Waffenkammer.«
»Die würde uns besonders interessieren«, greift Fernando das Stichwort auf.
Vor dem Fenster steht ein schmales Bett, das die gesamte Breite des ehemaligen Kinderzimmers einnimmt. Die Wolldecke darauf ist gespickt mit Hundehaaren, an der Wand hängen ein paar Gehörne von Rehböcken. Neben einem Kleiderschrank steht ein stählerner Waffenschrank.
»Wissen Sie, wo der Schlüssel dazu ist?«, fragt Jule.
»Wahrscheinlich im Schreibtisch.« Anna geht den Schlüssel suchen.
»Vielleicht ist der Hund auch erschossen worden und im Feuer gelandet«, flüstert Fernando.
»Das glaube ich nicht«, widerspricht Jule leise. »Die alte Dame sprach von einem Schuss. Ich habe Fiedler außerdem darauf hingewiesen, dass sie auf Reste von Hundeknochen achten sollen, aber da war nichts. Ich werde nachher mal die Tierheime anrufen, erinnere mich daran.«
Nebenan befindet sich das Schlafzimmer. Ein paar Kleidungsstücke liegen auf dem Futon. Jule betrachtet die gerahmten Familienfotos an der Wand über einer Kommode. Die kleine Anna mit Mama und Papa
Weitere Kostenlose Bücher