Totenfeuer
bekam tatsächlich Antwort von ihrem »Heinerle«, wie sie ihn nannte. Es gab einen Briefwechsel über die Jahre, aber meine Mutter wollte keinen Fuß mehr auf deutschen Boden setzen. Sie ist leider schon 1981 mit nur sechzig Jahren gestorben. Nun, wo ich selbst etwa in dem Alter bin, hatte ich die Idee, mit meinem Sohn und den beiden Enkeln nach Deutschland zu reisen, ehe auch ich zu alt dafür sein werde.«
Das Haus in Hannovers Oststadt, in dem die Sommerfelds ihr Musikgeschäft hatten, existiert heute nicht mehr, es wurde bei Bombenangriffen zerstört. An seiner Stelle steht heute ein modernes Gebäude, in dem eine Versicherung ihre Büros hat.
Die Reise der Familie de Winter soll nun weitergehen, unter anderem zur Gedenkstätte Bergen-Belsen.
»Ich habe lange überlegt, ob ich das aushalte, aber ich möchte es, auch für meine Enkel. Meine Enkel finden Deutschland sehr interessant, sie haben sich das Land ganz anders vorgestellt, nicht so modern.«
Den Artikel, der vom 16. September des vergangenen Jahres stammt, vervollständigt ein Foto, das Heiner Felk und Thelma de Winter mit ihrem Sohn und den Enkeln vor dem Portal des Gutshofes zeigt. Allerdings sind die Gesichtszüge der Personen nicht sehr gut zu erkennen, es war wohl kein guter Fotograf am Werk. Die Bildunterschrift lautet:
Besuch aus Boston: Heiner Felk (89) zeigt Thelma de Winter (63), ihrem Sohn Bill (40) und den Enkeln Lydia (15) und Dany (13) das Gut ihrer Vorfahren.
»Hat Heiner Felk mit Ihnen über diesen Besuch gesprochen?«, fragt Völxen den Pfarrer.
Dieser nickt. »Ja, das auch. Ich kannte Heiner Felk von der Beerdigung seiner Frau Roswitha auf dem Linderter Friedhof. Er selbst lebte zu der Zeit ja schon gar nicht mehr hier, sondern im Altenheim in Waldhausen – ein sehr schönes Heim, nebenbei gesagt, beinahe wie ein Luxushotel. Von dort rief er mich einige Wochen nach der Beerdigung seiner Frau an und bat mich um einen Besuch. Es war eine seltsame Unterhaltung. Er redete fast nur in Andeutungen, ich hatte den Eindruck, dass ihm einerseits etwas auf der Seele liegt, dass er mir andererseits aber auch etwas verschweigt. Er sprach über seine Familie, über das Gut und dessen vorige Besitzer, über die dramatischen Umstände ihrer Inhaftierung, aber vor allen Dingen ging es ihm wohl um die Frage, ob man als Mensch und als Christ die Pflicht habe, für die schlechten Taten von Angehörigen – ich nehme an, er meinte seinen Vater – geradezustehen. Er benutzte in diesem Zusammenhang das Wort Buße. Ohne damals schon Genaueres über die Sommerfelds zu wissen – diesen Artikel gab es ja noch nicht –, nahm ich an, dass er etwas herausgefunden hatte über die Umstände, unter denen sein Vater das Gut erworben hat. Die waren vermutlich typisch für die Nazizeit und warfen kein gutes Licht auf seinen Vater Ludwig. Und das trieb ihn nach so vielen Jahren offenbar um.«
»Was haben Sie ihm geraten?«, will der Kommissar wissen und probiert den Kaffee. Zu bitter.
»Dass er tun soll, was ihm sein Gewissen sagt, dass er aber dabei die Früchte der Arbeit seiner Kinder nicht antasten soll, denn das wäre ihnen gegenüber nicht gerecht.«
»Hat er diesen Rat akzeptiert?«
»Ich glaube schon. Er hat sich jedenfalls bedankt. Wir hielten von da an einen losen Kontakt, ich habe alle zwei, drei Monate mal bei ihm vorbeigeschaut, wenn ich in der Stadt war. Ich muss sagen, ich mochte den alten Herrn. Er hatte Anstand. Ja, das ist wohl das richtige Wort. Nach und nach hat er mir auch von Lydia Sommerfeld erzählt, in die er damals wohl sehr verliebt gewesen war. Als er erfuhr, dass ihre Tochter nach Deutschland kommen wollte, war er ganz aus dem Häuschen, er hat mich gleich angerufen, um es mir zu sagen.«
»Wann haben Sie Heiner Felk zum letzten Mal gesehen?«
»Eine Woche vor seinem Tod war ich bei ihm. Da war er noch ganz munter, für sein hohes Alter geradezu bemerkenswert. Der Mann wirkte nicht wie neunzig, man hätte ihn höchstens auf achtzig geschätzt. Er teilte mir mit, dass er nun eine Lösung gefunden hätte, mit der alle Beteiligten gut leben könnten. Aber was genau es war, das hat er nicht gesagt. Ja, und dann erfuhr ich von seinem Tod. Ich möchte hier keine Beschuldigungen in die Welt setzen, Herr Kommissar, ich wollte nur, dass Sie das wissen.«
»Ja, das ist der Hund, den wir suchen.« Jule erkennt das Tier, das Frau Sommer, eine hagere Mittdreißigerin, an der Leine in das kleine Büro führt, von den Fotos in Felks Haus
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