Totenfeuer
sofort wieder. Von draußen hört man Hundegebell. Jule hat darauf verzichtet, sich die Tiere in den Zwingern und Auslaufflächen selbst anzusehen. Sonst komme ich am Ende noch in Versuchung, einen davon mitzunehmen, hat sie sich gesagt. »Hallo, Oscar!« Jule beugt sich zu ihm hinunter. Der Hund leckt ihr freudig die Hand, sein Schwanz wedelt hektisch, dann springt er an ihr hoch.
»Sitz!«, befiehlt Frau Sommer mit erhobenem Zeigefinger, und prompt lässt Oscar sein kleines Hinterteil hinabplumpsen.
»Platz!« Ihre Handfläche deutet nach unten, und Oscars Schnauze berührt den Bodenbelag.
»Immerhin ist er gut erzogen. Das ist bei Terriern auch unbedingt notwendig«, erklärt Frau Sommer. »Sind Sie die Besitzerin?«
»Oh, nein.« Jule erklärt den Sachverhalt und fragt dann: »Wer hat den Hund hier abgegeben und wann?«
»Am Ostersonntag gegen Mittag wurde er gebracht. Der Herr wollte seinen Namen aber nicht nennen.«
»Und das geht so einfach?«
»Was hätte ich tun sollen? Ihn dazu zwingen? Er sagte, es sei nicht sein Hund, er habe ihn aufgelesen, wolle aber nichts damit zu tun haben.«
»Wie sah der Mann aus?«
»So Ende vierzig, Anfang fünfzig, eher dicker, ein Gesicht wie eine Bulldogge. Ich glaube, es war ein Jäger, den Klamotten nach jedenfalls. Deshalb habe ich den Hund auch lieber angenommen. Ich dachte, der nimmt ihn sonst mit und erschießt ihn. Manche dieser Typen fackeln ja nicht lange, wenn sie einen streunenden Hund in ihrem Revier sehen, man muss dankbar sein, wenn sich so einer die Mühe macht und den Hund hier abgibt.«
»Frau Sommer, würden Sie den Mann wiedererkennen?«, fragt Jule und schielt nach Oscar. Der gefleckte Hund liegt immer noch da wie festgeklebt, nur seine Ohren wandern hin und her wie bewegliche Satellitenschüsseln, als verfolge er das Gespräch genau.
»Ich denke schon«, meint Frau Sommer. »Ich habe mir aber auch vorsichtshalber das Kennzeichen seines Autos notiert. Das war so ein Geländewagen.«
Oda Kristensen tritt aus dem Aufzug und wäre fast mit Hauptkommissar Leonard Uhde vom Betrugsdezernat zusammengestoßen, der offenbar nach oben will. Man grüßt sich ein wenig steif, dann sagt Oda: »He, Uhde. Warte mal.«
»Was ist? Ich hab’s eilig.«
»Das ist ziemlich mies, was du da mit Jule abgezogen hast.«
»Wüsste nicht, was dich das angeht«, antwortet er mürrisch.
»Es wäre besser für Jule, wenn sie dir hier nicht mehr begegnen würde.«
Leonard Uhde betrachtet sie mit einer Mischung aus Abscheu und Interesse von oben nach unten. Er gehört zu den Männern, die ungemein charmant und ungemein fies sein können, registriert Oda. Im Moment zeigt er sein fieses Gesicht, aber Oda ist nicht der Typ, der sich davon einschüchtern lässt, im Gegenteil.
»Und wie soll ich das, bitte schön, anstellen? Soll ich nur noch Treppen laufen, oder darf ich nicht mehr in die Kantine gehen, oder was?«
Es gibt Tage, so wie heute, da ist die sonst recht abgeklärte Oda ganz auf Krawall gebürstet. »Das ist schon mal ein guter Ansatz. Soll dir dein Weibchen halt ein Brot schmieren. Und Treppenlaufen ist gesund und macht ’nen hübschen Arsch.«
Odas Attacke verblüfft Uhde zunächst, was man ihm auch ansieht, aber er fängt sich rasch: »Hör mal, ich weiß, dass das nicht komplett korrekt gelaufen ist, aber es gehören immer zwei dazu, oder? Und wenn Jule was nicht passt, kann sie sich ja versetzen lassen.« Er will sich an Oda vorbeidrängeln, während er etwas von völlig verrückten Weibern murmelt.
»Nicht Jule wird sich versetzen lassen, sondern du.«
Hauptkommissar Leonard Uhde verharrt mitten in der Bewegung. »Sag mal, spinnst du?«
Eiskalt kreuzen sich nun ihre Blicke, ehe Oda die Katze aus dem Sack lässt: »Vergiss nicht, dass Jule bei der Ermittlung in Sachen Schwalbe vor einem halben Jahr ein paar unschöne Dinge über dich herausgefunden hat.«
Ein wütendes Funkeln tritt in seine Augen.
Oda fährt fort: »Das Problem ist: Wenn die falschen Leute erfahren, dass du seinerzeit gemeinsame Sache mit einem Versicherungsbetrüger gemacht hast, dann verlierst du nicht nur deinen Job, sondern womöglich auch noch deine Pensionsansprüche.«
Unverhohlener Hass steht nun in seinen zusammengekniffenen Augen, und Oda ist jetzt doch ganz froh, dass sie sich in einem Polizeipräsidium befinden und nicht auf einem einsamen Parkplatz.
Schließlich schüttelt er den Kopf, lächelt etwas schief und winkt ab. »Was wollt ihr eigentlich? Ihr habt doch keine
Weitere Kostenlose Bücher