Totenfeuer
Beweise.«
»Da sei dir mal nicht so sicher«, antwortet Oda. »Manchmal reichen ja auch schon ein paar Gerüchte, ein dummer Spruch an geeigneter Stelle, vielleicht beim Sommerfest, wenn man zu viel intus hat …«
»Ihr seid doch …«
» Ihr stimmt nicht. Jule ist ein anständiges Mädchen, klug, aber naiv, die würde dich nie verraten, da kannst du ganz beruhigt sein.« Oda lächelt und seufzt: »Ich dagegen bin ein abgebrühtes altes Miststück mit guten Verbindungen nach oben, und es wäre wirklich besser für deine Karriere, wenn du dir eine neue Dienststelle suchst, eine, die nicht in der PD sitzt.«
»Leck mich doch, du blöde Fotze!« Uhde verschwindet im Aufzug und hinterlässt eine Geruchsspur aus teurem Eau de Toilette und gewöhnlicher Angst.
»Ich gebe dir einen Monat«, sagt Oda, ehe sich die metallenen Flügel der automatischen Tür zwischen sie schieben. Als der Lift entschwebt, geht Oda ein seltsamer Gedanke durch den Kopf: Sie fragt sich, ob der sanfte Herr Tang mit ihrer Vorgehensweise wohl einverstanden wäre.
Bodo Völxen sitzt an seinem Schreibtisch, stützt die Ellbogen auf und massiert nachdenklich seinen zurückweichenden Haaransatz. Was jetzt? Soll er bei der Staatsanwaltschaft eine Obduktion des Leichnams von Heiner Felk beantragen? Mit welcher Begründung? Ein von der Enkelin und vom Dorfpfarrer geäußerter Verdacht ist nicht gerade viel, um die Staatsanwaltschaft und den Richter zu überzeugen. Andererseits drängt die Zeit, übermorgen ist die Beerdigung, und die Leiche vom offenen Grab wegholen zu lassen kommt sicher nicht gut an. Aber schließlich kann er nicht aus lauter Harmoniesucht seine Pflichten als Ermittler vernachlässigen. Verdammt, was für eine verzwickte Situation! Das Telefonklingeln reißt ihn aus seinen Grübeleien. Es ist Jule Wedekin, die fragt, ob er einen Jäger kennt, der einen Geländewagen fährt und dessen Gesichtszüge denen einer Bulldogge ähneln.
»Gutensohn. Da gibt’s kein Vertun.«
»Dann hat er Felks Hund im Tierheim abgegeben, anonym, am Ostersonntag. Aber wir haben auch die Autonummer: H-KH …«
»Das ist er«, unterbricht Völxen. » KH – Karl-Heinz. Gute Arbeit, Frau Kommissarin. Wo sind Sie jetzt, wenn ich fragen darf?«
»Auf der Rückfahrt von Barsinghausen. Ich habe den Hund bei mir und möchte ihn zu Anna Felk bringen.«
»Sitzt der jetzt etwa im Dienstwagen und haart?«
»Man hat mir im Tierheim einen Transportbehälter geliehen. Er ist im Kofferraum.«
»Ist es neuerdings unsere Aufgabe, herrenlose Hunde an ihre Besitzer auszuliefern?«, erkundigt sich Völxen.
»Ich habe ohnehin noch einige Fragen an Anna Felk.«
Jule zögert, was Völxen nicht entgeht. »Was ist? Raus damit!«
Jule schildert ihrem Chef das Gespräch mit dem Notar. »Deshalb möchte ich von Anna wissen, was ihr Großvater mit dem Geld vorhatte. Ich habe auch schon mit diesem Bauern aus Völksen bei Springe telefoniert, der die Felder kaufen wollte. Er hat eingeräumt, mit dem einen oder anderen Nachbarn darüber geredet zu haben. Also könnten Ernst und Martha Felk durchaus davon erfahren haben. Vielleicht hat das Mädchen ja recht mit ihren Verdächtigungen, und wir haben einen zweiten Mordfall.«
Schweigen. Erst als Jule verunsichert nachfragt, ob er noch da sei, antwortet Völxen: »Ja. Wenn Sie schon mal da sind, fragen Sie Anna nach dem Besuch der Amerikanerin auf dem Gut vor etwa einem halben Jahr. Ich habe hier einen Zeitungsartikel darüber. Vielleicht wollen Sie vorher vorbeikommen und ihn sich ansehen?«
»Frau Cebulla kann ihn doch einscannen und mir aufs Handy mailen. Oder sie schickt mir den Link, falls es den Artikel online gibt.«
Völxen stöhnt gequält auf.
»Ist was nicht in Ordnung?«, fragt Jule besorgt.
Nein, alles sei bestens, antwortet Völxen und brummt, nachdem er aufgelegt hat: »Ich werde alt!«
Der Briefträger hält Jule die Haustür auf. Oscar lässt bei seinem Anblick ein tiefes Knurren hören. »Pscht«, macht Jule und steigt, den Hund unter den Arm geklemmt, die vier Treppen bis zu Anna Felks Wohnung hinauf. Vom Treppensteigen ein wenig außer Atem, drückt sie auf die Klingel. Sie hört Annas Schritte und klopft leise an die Tür. »So, Oscar, gleich wird sich jemand ganz fürchterlich freuen«, flüstert sie dem Hund zu, als die Bewohnerin öffnet. Ehe eine der beiden auch nur ein Wort sagen kann, windet sich Oscar aus Jules Umklammerung, springt auf den Boden, seine Krallen drehen auf den Holzdielen kurz durch,
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