Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenfrau

Totenfrau

Titel: Totenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
Vom Netzwerk:
Stundenkilometer zu schnell.
    – Das ist unverzeihlich.
    – Ums Verzeihen geht es hier nicht, es gut um die Höhe Ihrer Strafe und darum, dass Sie sich einen Abschleppwagen werden rufen müssen.
    – Bitte nicht, Sie sehen doch, was ich transportiere.
    – Das ist ein Leichenwagen, oder?
    – Ja. Bestattung Blum, Innsbruck.
    – Ein weißer Leichenwagen?
    – Ja. Mein Vater musste den Wagen unbedingt haben.
    – Ihr Vater ist der Bestatter?
    – Mein Vater ist leider tot, ich habe den Betrieb übernommen.
    – Sie sind eine Frau.
    – Und?
    – Das ist doch kein Beruf für eine Frau.
    – Wenn Sie meinen.
    – Warum ist die Musik so laut?
    – Die Musik macht es einfacher. Ich als Frau habe natürlich gewisse Probleme, mit einer Leiche herumzufahren, deshalb die Musik.
    – Finden Sie nicht, dass das pietätlos ist?
    – Darüber sollte ich wohl mal nachdenken.
    – Ja, das sollten Sie.
    – Können Sie nicht ein Auge zudrücken und mir den Führerschein lassen? Die Strafe zahle ich gerne, aber ich muss den Leichnam nach Innsbruck bringen, die Angehörigen warten schon darauf.
    – Wer ist da drin?
    – Eine ältere Dame, sie hat lange im Wasser gelegen.
    – Eine richtige Wasserleiche?
    – Ja.
    – Habe ich noch nie gesehen.
    – Da haben Sie nichts verpasst, glauben Sie mir.
    – Ich würde sie gerne sehen. Die Leiche. Kann ich einen Blick in den Sarg werfen?
    – Wie bitte?
    – Darf ich?
    – Ich denke, das ist keine gute Idee.
    – Ich bin einiges gewöhnt, das können Sie mir glauben. Erst kürzlich haben wir einen von den Schienen geholt. Der Kopf war nur mehr Matsch. Und dieser Unfall vor vier Tagen am Attersee. Sieben Tote, ein verdammtes Gemetzel war das.
    – Das muss hart sein.
    – Mir macht das nichts aus. Sie können mir das gute Stück ruhig zeigen.
    – Das ist nicht Ihr Ernst, oder?
    – Aber sicher ist das mein Ernst. Wie oft hat man die Gelegenheit, eine Wasserleiche zu sehen. Das ist quasi ein Glückstag heute.
    – Keine gute Idee.
    – Kommen Sie schon. Sie zeigen mir die Leiche, und wir vergessen das mit der Geschwindigkeitsübertretung.
    – Sie stinkt bestialisch. Überall Hautfetzen. Und dieses Gesicht. Es ist die Hölle, ehrlich.
    – Ist mir egal. Machen Sie schon.
    – Verstehen Sie doch. Für mich als Frau ist das nicht einfach. Dieser Anblick. Beim Einladen habe ich mich übergeben. Ich möchte diese Leiche nur noch unter die Erde bringen.
    – Eine Bestatterin, die Angst vor ihren Leichen hat?
    – Bitte tun Sie mir das nicht an.
    – Weiber. Was ich immer sage. Die sollen zu Hause bleiben und sich um den Haushalt kümmern.
    – Ja.
    – Ich kann Sie auch zwingen, den Sarg zu öffnen.
    – Bitte nicht. Nicht heute.
    – Wann dann?
    – Ich habe Fotos.
    – Was haben Sie?
    – Unzählige Fotos von Leichen. Da ist alles dabei, Enthauptete, Gehängte, Zerquetschte, Obduzierte, Amputierte. Ich habe alles, glauben Sie mir. Tausende Fotos, und Sie können sie alle in Ruhe ansehen. Sie kommen nach Innsbruck, und ich zeige Ihnen Dinge, die Sie garantiert noch nie in Ihrem Leben gesehen haben.
    – Das klingt gut. Das klingt sogar sehr gut.
    – Sie werden es nicht bereuen.
    – Und da sind auch Wasserleichen dabei?
    – Einige, ja. Junge, alte, wir dokumentieren alles. Und der Vorteil ist der, dass es nicht stinkt.
    – Das gefällt mir.
    – Das ist schön.
    – Ich komme zu Ihnen nach Innsbruck.
    – Bestattung Blum, Sie sind jederzeit willkommen.
    – Geil.
    – Ja. Ich denke, das ist für uns alle so am besten.
    – Das mit der Strafe vergessen wir.
    – Danke.
    – Ich komme zu Ihnen.
    – Ja.
    – Fahren Sie langsam.
    – Werde ich.
    – Und überlegen Sie sich das noch mal.
    – Was?
    – Hausfrau ist auch ein schöner Beruf.
    Dieser Psychopath. Wie er grinst. Wie Blum sich nicht vom Fleck rührt. Wie dieser widerliche Dreckspolizist in seinen Wagen steigt und davonfährt. Blum brennt. Fast hätte er den Kofferraum aufgemacht, er hatte die Hand schon am Deckel, einen Augenblick länger, und er hätte gehört, dass die Leiche im Sarg nach Hilfe schreit. Sie hat alles aufs Spiel gesetzt, alles riskiert. Ihr Leben. Die Kinder. Die Vorstellung, dass sie allein bleiben würden, ist schlimmer als alles andere. Beinahe wäre alles zu Ende gewesen. Blum schreit. Innerlich. Beinahe wäre ihr alles entglitten. Sie hat sich in diese Situation gebracht, sie selbst hat sich dem ausgesetzt. Sie hat am helllichten Tag jemanden entführt. Sie hat ihn nicht betäubt, sie ist mit ihm auf der Autobahn

Weitere Kostenlose Bücher