Totenfrau
wieder auf Null stellen. Das zuerst. Alles andere danach.
Aus der Ohnmacht in den Leichenwagen. Vom Parkplatz auf die Autobahn. Von Salzburg nach Innsbruck. Blum hält die Fäden in der Hand, an denen sie hängt. Sie zieht sich hoch, sie hebt ihren Arm, legt ihre Hand auf das Lenkrad, presst ihren Fuß auf das Gaspedal. Dann wählt sie die Nummer. Sie sucht Halt. Massimo.
– Wo bist du? Was ist los?
– Ich wollte einfach nur deine Stimme hören.
– Du bist im Auto?
– Es ist doch egal, wo ich bin, oder?
– Was ist los, Blum?
– Die Kinder. Was ist, wenn mir etwas passiert?
– Was sollte dir denn passieren?
– Ich könnte sterben.
– Was redest du da?
– Mark ist auch tot. Ich könnte genauso sterben. Und dann sind die Kinder allein.
– An so etwas darfst du nicht denken, Blum.
– Doch, ich denke daran. Und es macht mir Angst.
– Tu das nicht.
– Sie kommen ins Heim, wenn ich tot bin.
– Du sollst aufhören, so zu reden. Dir wird nichts passieren, ich passe auf dich auf, vertrau mir.
– Erinnerst du dich an die Frau, mit der Mark sich getroffen hat?
– Ja, warum?
– Sie ist tot.
– Was redest du da?
– Sie haben sie aus dem Inn gezogen. Ich habe sie in der Gerichtsmedizin gesehen.
– Woher weißt du, dass sie es ist? Du kennst diese Frau doch gar nicht.
– Ich habe ein Foto von ihr gesehen. Mark hat sie fotografiert, die Fotos waren auf seinem Handy. Ich weiß, wie sie ausgesehen hat. Und sie ist tot, Massimo. Ertrunken. Sie sagen, es war ein Unfall. Oder Selbstmord.
– Ach Blum, das sollte dich doch alles gar nicht belasten. Das hat doch nichts mit deinem Leben zu tun.
– Mit Marks Leben hatte es etwas zu tun.
– Aber Mark ist tot. Du musst damit aufhören, Blum. Diese Frau war obdachlos, wahrscheinlich war sie betrunken und ist in den Fluss gefallen. Vielleicht wollte sie aber auch einfach nicht mehr. Vielleicht hat sie einfach Schluss gemacht.
– Ich habe Angst, Massimo.
– Mach dir bitte keine Sorgen, Blum, ich werde dem nachgehen, ich verspreche es dir. Ich werde herausfinden, wie sie gestorben ist. Du musst mir aber versprechen, dass du aufhörst, den Teufel an die Wand zu malen.
– Versprochen.
– Es wird besser, Blum.
– Nein, es wird immer schlimmer.
– Darf ich zu dir kommen, wenn die Kinder schlafen?
– Ja.
Blum legt auf. Der Gedanke, in seinen Armen zu liegen, macht es besser. Der Gedanke, ihm die Wahrheit zu sagen, ist reizvoll. So gerne würde sie sich ergeben, alles in seine Hände legen, ihn weiterrudern lassen. Ihn nicht mehr anlügen. Massimo. So sicher sie sich ist, dass er niemals mehr sein wird als ein Freund, so sehr sehnt sie sich danach, dass dem so wäre. Dass es so sein könnte wie mit Mark. Dass sie lachen könnte mit ihm, unbeschwert sein könnte. Massimo und Blum. Die Alternative zum Alleinsein. Anziehung und Vernunft. Sie will, dass er geht. Sie will, dass er kommt, für sie da ist. Sie will es ihm sagen. Alles über Dunja, über Schönborn, Jaunig und Puch. Sie will nicht mehr damit allein sein. Allein am Boden liegen auf irgendeinem Parkplatz neben der Autobahn. Massimo. Er kommt, wenn die Kinder schlafen. Oder früher. Wenn jemand Blum angeschwärzt hat. Es gemeldet hat, dass sie mit einem Wagenheber auf eine Leiche eingeschlagen hat.
39
Ein Kinderfahrrad unter dem Apfelbaum. Nela, die Seifenblasen in die Luft zaubert. Uma, die im Kinderwagen schläft. Und Blum, die mit dem Leichenwagen hinter dem Haus parkt und den Sarg in den Versorgungsraum schiebt. Ein Spätsommertag. Normales Leben im Garten. Karl schneidet die Ribiselsträucher zurück, Blum hebt Uma aus dem Wagen und küsst sie wach. Sie tollen um das Haus, spielen Fangen. Blum bemüht sich, den Koch zu vergessen, das Unvermeidliche aufzuschieben. Zwei Stunden lang. Dann zurück zum Sarg. Die Leiche von Bertl Puch.
Was nun folgt, ist Arbeitsalltag. Und es hilft. Selbst Hand an der Leiche anzulegen ist einfacher als zuzusehen, wie jemand anderer es tut. Blum hüllt sich ein in Plastik. Hände, Arme, Beine, Schuhe. Sie will nichts von ihm berühren. Kein Blut, kein Fleisch. Nichts von ihm. Blum bereitet alles vor. Sauger, Säge, Plastiksäcke, Formalin. Sie rechnet damit, dass sie ihn in drei Stunden zerlegt haben wird, sie möchte schneller sein als bei Schönborn. Sie will zurück in den Garten. Mit den Kindern Fangen spielen. So tun, als könnte ihr nichts passieren. Blum schiebt die Gurte unter seinen Leib, hebt ihn mit dem Kran nach oben und legt ihn auf den
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