Totenfrau
mehr. Blum fährt schnell. Blum passiert Linz. Es ist nur ein Leichenwagen, der über die Autobahn fliegt. Blum fährt schnell. Dreieinhalb Stunden noch, bis sie in Tirol sind. Dreieinhalb Stunden Uringeruch aus dem Sarg. Genug Zeit, um sich zu erinnern. An Hagen und an diese Frau.
Blum war zehn Jahre alt. Er hat sie gezwungen, bei der Versorgung einer alten Frau dabei zu sein. Es war Hochsommer, es war heiß, sie war viel zu jung für das, was sie tun musste. Hagen hörte nicht auf, sie zu quälen. Brünhilde, du bleibst. Du wirst dir das jetzt ansehen. Das ist dein Beruf, Brünhilde. Ich bin ein Kind, hatte sie geantwortet. Dann begann er, der alten Frau die Kleider vom Leib zu schneiden. Sie war mehr als fettleibig. Es war das Grässlichste, was sie bis heute gesehen hat. Hagen erlaubte ihr nicht, den Raum zu verlassen, Blum weinte. Zu viert hatten sie die alte Frau aus dem Wagen gehievt und mit dem Kran auf dem Versorgungstisch abgelegt, ein Fleischberg war sie. Mächtig, übergroß, überall nur Fett und Haut. Blum ekelte sich, wollte wegrennen. Vor diesem Geruch. Doch Hagen nahm sie am Arm und hielt sie fest. Bleib, Brünhilde. Du wirst jetzt lernen, was man mit dem Kot macht. Blum blieb. Und Hagen zeigte ihr, was man mit einer Leiche macht, deren Darm noch voll ist.
Alles roch nach Urin. Die Frau hatte in die Hose gemacht, ihre Haut stank, alles an ihr stank. Urin und Kot. Hagen hatte weiße Handschuhe an, es kam aus ihrem After, ununterbrochen, obwohl Hagen sie tamponiert hatte. Es hörte nicht auf, die Watte quoll aus ihr heraus, überall war Kot, auf seinen Händen, auf dem Versorgungstisch, auf ihren Schenkeln. Hagens Mitarbeiter hob ihre Beine hoch, Hagen selbst nähte. Es ist das Einzige, was man in so einer Situation machen kann, Brünhilde. Es bleibt uns nichts anderes übrig. Wir müssen den Anus zunähen, Brünhilde. Es hörte nicht auf, aus ihr herauszurinnen. Scheiße, braune, stinkende Scheiße aus dem Leib der fetten Frau. Blum stand vor ihr und schaute zu. Sie sollte nichts tun, nur zusehen. Und das machte es noch schlimmer. Wenn sie an anderen Tagen selbst Hand anlegen musste, hatte sie keine Zeit zum Nachdenken, den Ekel zu spüren. Sie musste konzentriert sein, die Nadel durch Haut und Fett stechen. Zuschauen war schlimmer. Viel schlimmer. Hagens braune Finger, die im Blindflug ihren Anus zunähten. Die tote, fette Frau, die alles vollgeschissen hatte. Diese Bilder, die immer wiederkommen, wenn sie Urin riecht oder Kot.
Kurz nach St. Pölten hat Bertl Puch sich in der Nusstruhe erleichtert, man kann seine Angst riechen. Vor knapp fünfundzwanzig Jahren wollte Blum davonlaufen vor diesem Gestank. Mit diesem Geruch hat alles angefangen. Mit diesem Geruch soll es jetzt enden. Dass es nicht ewig so weitergehen kann, weiß Blum im Innersten. Sie will zwar nicht daran glauben, aber ihre Schutzengel haben sich zurückgezogen, sie sind nicht mehr da. Der Himmel hat sich wieder gedreht. Blum taumelt. Alles, was sich so nahtlos ineinandergefügt hat, beginnt auseinanderzufallen. Kurz vor Salzburg muss sie bremsen. Sie ist zu schnell. Ein junger Beamter, der will, dass sie das Fenster öffnet. Laute Musik aus dem Wagen, und Blum, die aussteigt, anstatt die Scheibe nach unten zu fahren. Eine andere Wahl hat sie nicht. Schnell schlägt sie die Tür hinter sich zu, die Musik im Wageninneren soll sein Schreien und Hämmern übertönen. Weil er wieder zu schreien begonnen hat. Weil er gegen die Truhenwand tritt.
Eine Zivilstreife, die ihr nachgefahren ist, ein Polizist, der sie dazu bringt, die Autobahn zu verlassen. Auf einen Rastplatz zu fahren. Die Musik lauter drehen und hoffen, dass man ihn nicht hören wird. Bertl Puch. Blum versucht zu lächeln. Zu ignorieren, dass der Polizist ein Arschloch ist.
– Fahrzeugpapiere und Führerschein.
– Ich war zu schnell, oder?
– Sie wissen, dass Sie zu schnell gefahren sind? Das heißt, Sie haben vorsätzlich gehandelt, Sie haben die Geschwindigkeitsvorschriften einfach ignoriert und damit andere Verkehrsteilnehmer wissentlich gefährdet.
– Es tut mir sehr leid, ich war völlig abwesend.
– Abwesend? Haben Sie getrunken?
– Ich wollte sagen, dass ich nicht auf die Geschwindigkeitsanzeige geachtet habe. Ich war in Gedanken.
– Das wird teuer. Und Ihren Führerschein werden Sie sich in einem Monat in Salzburg abholen können.
– Um Himmels willen, nein, das geht nicht.
– Was geht oder nicht geht, entscheide ich. Sie waren fast fünfzig
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