Totengeld
Ressentiments finden.«
»Wir gehen nicht unter normalen Umständen rein.«
»Nein, Mr. Blanton, das tun wir nicht.«
Blanton reckte das Kinn. Rührten die Reibungen vom selben Zuständigkeitsgerangel her, das ich aus Charlotte und Montreal kannte? Die Army gegen die Navy? Militär gegen Zivilisten? Ich fand den Gedanken merkwürdig beruhigend.
In den nächsten fünf oder sechs holperigen Minuten sagte niemand etwas. Dann:
»Ich würde diese Leute nicht Ignoranten nennen, weil es nicht stimmt, ganz zu schweigen davon, dass es potenziell gefährlich ist.« Mit zusammengekniffenen Augen starrte Welsted in das Hitzeflimmern am Horizont. »Aber das Leben, das sie führen, ist einfach. Es ist uns ein Anliegen, ihre Sitten und Gebräuche zu respektieren, sofern sie nicht unseren Zielen entgegenlaufen.«
»Und die sind?«, fragte ich.
»Ziel Nummer eins ist es, die freie Welt zu schützen. Ziel Nummer zwei, unser ganz spezielles Anliegen bei dieser Operation, ist herauszufinden, ob sich Personal der Vereinigten Staaten bei der Verfolgung von Ziel eins richtig verhalten hat.«
Nach einigen weiteren Meilen stummen Holperns und Schwankens nahm Sheyn Bagh in der Ferne Gestalt an, eine Ansammlung geduckter Steingebäude, auf drei Seiten umschlossen von einer Steinmauer, während sich an der vierten Seite ein steiler Hügel erhob.
Welsted hatte recht. Das Dorf war nichts Besonderes. Außer der persönliche Architekturgeschmack tendiert zu nacktem Minimalismus. Aber die Umgebung war nicht von dieser Welt.
Sheyn Bagh lag am Fuß einer Erhebung, die auf der Südseite steil in die Höhe ragte, etwa siebzig Meter bis zu einem Plateau, das mit merkwürdig geformten Felsbrocken gesprenkelt war. Der Abhang, eher Klippe als Hügelflanke, bestand aus merkwürdigen, spitz zulaufenden Formationen, die an aufrechte Löffelbiskuits unterschiedlicher Größe erinnerten. Im dunstigen Morgenlicht erkannte ich winzige Löcher in den Felsen, wie Honigwaben. Im Näherkommen sah ich, wie aus diesen Löchern Türen, Fenster und Treppen wurden.
Ich wollte eben eine Frage stellen, als Welsted zu einer Erklärung ansetzte.
»Die Hälfte des Dorfs ist in die Hügelflanke gebaut. Der Fels ist stabil genug, um als Fundament zu dienen, aber porös genug, um Löcher hineingraben zu können.«
»Vielleicht ist das der Grund, warum Osama sich so gut verstecken konnte.«
»Diese Ortschaften sind wie Eisberge.« Welsted ignorierte wie gewohnt Blantons Kommentar. »Nur ein kleiner Teil davon ist sichtbar.«
Wir fuhren durch eine Lücke in der Wand und hielten auf einer Fläche, die wahrscheinlich als Dorfplatz diente. In einer Lücke zwischen zwei niedrigen Gebäuden hob eine Ziege den Kopf, blökte und kam auf den Humvee zugelaufen.
Der Begleitschutz umklammerte sein Gewehr fest. Er hob den Lauf so, dass er durchs Fenster zu sehen war, und rief etwas in Paschtu, wie ich vermutete. Ein vielleicht zehn-oder elfjähriger Junge kam herbeigelaufen und zerrte die Ziege wieder in die Lücke, aus der sie gekommen war.
»Die Mistkerle stopfen ihren Haustieren Sprengstoff ins Arschloch.« Blantons Stimme klang angespannt.
Die Eskorte drückte die Tür mit der Schulter auf und stieg aus. Welsted folgte.
Drei Männer erschienen, ihre Kleidung von derselben Farbe wie die Wüste. Sie hatten gestreifte Kefijes um die Köpfe geschlungen. An den Füßen trugen sie Sandalen.
Ein Mann war größer als die anderen. Einer hatte über seinem Bart ein wie ein Gänseblümchen geformtes Muttermal. Alle drei waren schlank, die Gesichter großporig und vernarbt. Ich konnte ihr Alter nicht einschätzen. Sie sahen aus wie lebendiger Stein.
»Ich übernehme das Reden.« Welsted ging um den Humvee herum und näherte sich ihnen ein kleines Stück.
Knapp zwei Meter von ihr entfernt blieben die Männer stehen. Feierlich wurden Grüße ausgetauscht. Keiner lächelte.
Als ich das sah, gingen mir viele Fragen durch den Kopf. Schaute ich in die Gesichter von abscheulichen Taliban? Waren das Männer, die ihre Frauen schlugen, ihnen die Ohren und Nasen abschnitten, obwohl sie um Gnade bettelten? Sie verstümmelten und verstießen, weil sie Vergewaltigungen zum Opfer gefallen waren? Männer, die Schulen zerstörten, damit Mädchen nicht lesen lernen konnten? Freiwillige Helfer töteten, damit sie nicht gegen Kinderlähmung impfen konnten?
Oder waren es einfache Bauern, die nur ihr Dasein fristeten? Sich abmühten, um Ziegen zu halten, Feldfrüchte anzubauen und ihre Kinder
Weitere Kostenlose Bücher