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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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er.
    »Was denn für Tricks?«
    »Reinkommen. An die Tür klopfen, wenn ich ihn fast so weit habe. So was in der Art.«
    Ich sah einen Muskel an Franks Kiefer zucken, aber er sagte bloß kühl: »Keine Tricks.«
    »Okay«, sagte Sam mit einem tiefen Atemzug. »Ich versuch’s.« Dann zu mir: »Kannst du noch eine Weile hierbleiben?«
    »Klar«, sagte ich.
    »Könnte sein, dass ich dich brauche – vielleicht ruf ich dich dazu. Je nachdem, wie’s läuft.« Seine Augen glitten zu Naylor, der jetzt angefangen hatte, »Follow Me Up to Carlow« zu singen, gerade so laut, dass es störte. »Drück mir die Daumen«, sagte er, richtete seine Krawatte und war weg.
    »Hat dein Freund mich gerade beleidigt?«, erkundigte sich Frank, nachdem die Tür des Beobachtungsraumes sich hinter Sam geschlossen hatte.
    »Du kannst ihn ja zum Duell fordern, wenn du willst«, sagte ich.
    »Ich spiele fair. Das weißt du.«
    »Das tun wir alle«, sagte ich. »Wir haben nur unterschiedliche Vorstellungen davon, was fair bedeutet. Und Sam ist nicht sicher, ob deine Vorstellungen sich mit seinen decken.«
    »Dann kann ich mir das mit der Blutsbrüderschaft wohl abschminken«, sagte Frank. »Ich werd’s überleben. Was hältst du von meiner kleinen Theorie?«
    Ich beobachtete Naylor durch die Scheibe, aber ich konnte Franks bohrenden Blick auf meinem Gesicht spüren. »Ich weiß noch nicht«, sagte ich. »Ich hab den Kerl nicht lange genug gesehen, um mir eine Meinung zu bilden.«
    »Aber du hast genug von Lexie gesehen – aus zweiter Hand, aber trotzdem, du weißt so viel über sie wie kaum jemand sonst. Denkst du, sie wäre zu so was fähig gewesen?«
    Ich zuckte die Achseln. »Wer weiß? Das Entscheidende bei der Frau ist doch, dass keiner weiß, zu was sie fähig war.«
    »Du hast dich vorhin auffällig bedeckt gehalten. Ist sonst gar nicht deine Art, so lange keinen Piep zu sagen, jedenfalls nicht, wenn du eigentlich eine Meinung haben müsstest. Ich würde gern wissen, auf welcher Seite du stehst, wenn dein Freund mit nichts wieder rauskommt und wir unsere Debatte fortsetzen müssen.«
    Die Tür zum Vernehmungsraum öffnete sich, und Sam kam herein, balancierte in jeder Hand eine Tasse Tee und hielt die Tür mit der Schulter auf. Er sah hellwach aus, beinahe schwungvoll. Die Müdigkeit fällt von dir ab, sobald du es mit einem Verdächtigen zu tun hast. »Psst«, sagte ich. »Ich will das sehen.«
    Sam setzte sich mit einem behaglichen Ächzen und schob eine Tasse über den Tisch zu Naylor rüber. »So«, sagte er. Sein ländlicher Tonfall war wie von Zauberhand stärker geworden: Wir gegen die Städter. »Ich hab Detective Mackey gesagt, er soll seinen Papierkram erledigen gehen. Er stört doch nur.«
    Naylor hörte auf zu singen und überlegte kurz. »Die ganze Art von dem passt mir nicht«, sagte er schließlich.
    Ich sah Sams Mundwinkel zucken. »Mir auch nicht, klar. Aber leider haben wir ihn am Hals.« Frank lachte leise neben mir und trat näher an die Scheibe.
    Naylor zuckte die Achseln. »Sie vielleicht. Ich nicht. Solange er hier ist, hab ich nichts zu sagen.«
    »Prima«, sagte Sam munter. »Er ist weg, und Sie sollen auch erst mal gar nichts sagen. Sie sollen bloß zuhören. Mir ist zu Ohren gekommen, dass vor vielen Jahren in Glenskehy was passiert ist. Ich finde, es könnte eine Menge erklären. Und ich möchte von Ihnen bloß hören, ob es wahr ist.«
    Naylor beäugte ihn misstrauisch, fing aber nicht gleich wieder mit seinem Konzert an. »Also«, sagte Sam und trank einen kräftigen Schluck Tee. »Etwa um die Zeit des Ersten Weltkriegs lebte in Glenskehy eine junge Frau … «
    Die Geschichte, die er erzählte, war eine kunstvolle Mischung aus dem, was man ihm in Rathowen berichtet und was ich aus Onkel Simons Opus Magnum entnommen hatte, plus irgendwas mit Mary Pickford in der Hauptrolle. Er zog alle Register: Der Vater der jungen Frau hatte sie aus dem Haus geworfen, sie bettelte in den Straßen von Glenskehy, die Einheimischen spuckten sie im Vorbeigehen an, Kinder warfen mit Steinen … Der krönende Abschluss war eine dezente Andeutung, die Ärmste sei vielleicht von einem wütenden Mob aus dem Dorf gelyncht worden. An dieser Stelle kam der Soundtrack nicht ohne einen schluchzenden Geigenteppich aus.
    Als er mit seinem Schmachtfetzen fertig war, wippte Naylor mit seinem Stuhl vor und zurück und musterte ihn mit einem versteinerten, angeekelten Blick. »Nein«, sagte er. »Gott, nein. Das ist der größte Bockmist,

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