Totengleich
höher schraubte. »Deshalb sind mehr als zweihundert echt nicht drin. Sind wir uns da einig? Kann ich die Papiere aufsetzen lassen?«
Ich spitzte die Lippen und tat so, als ließe ich mir das durch den Kopf gehen. »Muss ich drüber nachdenken.«
»Ach Scheiße, Mensch.« Ned fuhr sich frustriert mit den Fingern durch seinen Designerhaarschnitt, strich ihn dann sorgsam wieder glatt. »Jetzt komm. Das zieht sich nun schon ewig hin, echt.«
»’tschuldigung«, sagte ich achselzuckend. »Wenn es dir so unter den Nägeln brennt, hättest du gleich von Anfang an ein anständiges Angebot machen können.«
»Tu ich ja jetzt, okay? Ich hab Investoren an der Hand, die stehen förmlich Schlange, aber ewig warten die auch nicht. Das sind echte Großinvestoren. Die können ihr Geld auch echt anders anlegen.«
Ich grinste ihn an und legte noch ein zickiges kleines Naserümpfen obendrauf. »Dann sag ich dir echt Bescheid, exakt in der Sekunde, in der ich mich entschieden hab. Okay?« Dann winkte ich, als wäre er entlassen.
Ned blieb noch einen Moment stehen, trat von einem Bein aufs andere und sah stinksauer aus, aber ich grinste ungerührt weiter. »Gut«, sagte er schließlich. »In Ordnung. Wie du willst. Sag Bescheid.«
An der Tür drehte er sich noch einmal effektvoll um. »Das könnte für mich sozusagen der Einstieg werden, echt. Ich käme endlich auf Augenhöhe mit den richtig großen Jungs. Also lass uns die Sache nicht vermasseln, okay?«
Er wollte einen dramatischen Abgang hinlegen, aber er vertat seine Chance, weil er ins Stolpern geriet, als er sich umdrehte, um von dannen zu marschieren. In dem Versuch, die kleine Unbeholfenheit zu überspielen, fiel er in einen flotten Trab quer übers Feld, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Ich schaltete die Taschenlampe aus und wartete im Cottage, während Ned durchs Gras stapfte, in seinen Machoschlitten stieg und Richtung Zivilisation davondonnerte, das Dröhnen des Geländewagens mickrig und bedeutungslos vor der gewaltigen nächtlichen Landschaft. Dann lehnte ich mich gegen die Wand im vorderen Raum und spürte mein Herz schlagen, wo Lexies seinen letzten Schlag getan hatte. Die Luft war weich und warm wie Sahne. Meine Beine schliefen ein, winzige Motten umtanzten mich wie Blütenblätter. Neben mir wuchsen Dinge aus der Erde, in die ihr Blut geflossen war, ein blasses Büschel Glockenblumen, ein kleiner Schössling, der aussah wie Weißdorn: Dinge, die aus ihr entstanden waren.
Selbst wenn Frank die Live-Vorstellung verpasst hatte, würde er sich die Unterhaltung schon in wenigen Stunden anhören, sobald er am nächsten Morgen zur Arbeit kam. Ich hätte ihn oder Sam oder beide anrufen sollen, um mit ihnen gemeinsam zu überlegen, wie wir diese Entwicklung am besten nutzen könnten, aber ich hatte das Gefühl, wenn ich versuchen würde, mich zu bewegen oder zu sprechen oder auch nur tief zu atmen, würde mein Verstand überlaufen und im hohen Gras versickern.
Ich war mir meiner Sache so sicher gewesen. Und das aus gutem Grund. Diese junge Frau, die sich wie eine Wildkatze lieber die eigenen Glieder abbiss, als sich einsperren zu lassen. Ich hatte fest geglaubt, die Worte für immer würden ihr nie über die Lippen kommen. Ich versuchte, mir einzureden, dass sie vielleicht vorgehabt hatte, das Baby zur Adoption freizugeben, sich aus dem Krankenhaus zu schleichen, sobald sie nach der Geburt wieder aufstehen konnte und gleich vom Parkplatz weg ins nächste Gelobte Land zu entschwinden, aber ich wusste: Die Zahlen, mit denen sie da in ihren Verhandlungen mit Ned jongliert hatte, waren für kein Krankenhaus, ganz gleich wie nobel. Sie waren für ein Leben, für zwei Leben.
Genau wie sie sich von den anderen behutsam, unmerklich zu der kleinen Schwester hatte machen lassen, die ihre seltsame Familie vervollständigte, genau wie sie sich von Ned in das einzige Klischee hatte drängen lassen, das er verstand, so hatte sie sich von mir zu dem formen lassen, was ich unbedingt hatte sehen wollen. Ein Generalschlüssel für jede zuknallende Tür, eine endlose Schnellstraße zu tausend Neuanfängen. So etwas gibt es nicht. Selbst diese Frau, die ein Leben nach dem anderen hinter sich ließ wie eine Raststätte, hatte am Ende ihre Ausfahrt gefunden und war bereit gewesen, sie zu nehmen.
Ich blieb lange in dem Cottage sitzen, die Finger um den Schössling geschlossen – sachte, er war so neu, ich wollte ihn nicht zerdrücken. Ich weiß nicht, wann ich mich endlich aufraffen
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