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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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Bananenrepublik mit ernsthaften Grenzproblemen und einem geheimen Atomprogramm regieren.«
    »Ich mag Henry«, sagte Daniel, eine Zigarette im Mund. »So einen König könnten wir gebrauchen.«
    »Monarchistischer Kriegstreiber«, sagte Abby Richtung Decke. »Bei der nächsten Revolution wird er an die Wand gestellt.«
    »Weder die Monarchie noch der Krieg waren je das wirkliche Problem«, sagte Daniel. »Alle Gesellschaften haben immer Kriege geführt, das gehört zum Wesen der Menschheit, und wir hatten immer Herrscher – seht ihr wirklich einen so großen Unterschied zwischen einem mittelalterlichen Herrscher und einem modernen Präsidenten oder Premierminister, außer dass der König für seine Untertanen tendenziell leichter zugänglich war? Das eigentliche Problem entsteht, wenn die beiden Dinge, Monarchie und Krieg, sich voneinander abkoppeln. Bei Henry gab es da keine Trennung.«
    »Du faselst«, sagte Justin. Er versuchte unter Schwierigkeiten, seinen Punsch zu trinken, ohne sich aufzusetzen oder zu bekleckern.
    »Weißt du, was du brauchst?«, sagte Abby zu ihm. »Einen Strohhalm. Einen von diesen biegsamen.«
    »Ja!«, sagte Justin begeistert. »Ich brauche einen biegsamen Strohhalm. Haben wir so welche?«
    »Nein«, sagte Abby überrascht, woraufhin Rafe und ich aus irgendeinem Grund in haltloses, unwürdiges Gekicher ausbrachen.
    »Ich fasele nicht«, sagte Daniel. »Seht euch die alten Kriege an, vor Jahrhunderten: Der König führte seine Männer in die Schlacht. Immer. Das machte den Herrscher aus: Sowohl auf praktischer Ebene als auch auf einer mystischen Ebene war er es, der vortrat, um seinen Stamm anzuführen, sein Leben für seine Leute aufs Spiel zu setzen, sich für ihre Sicherheit zu opfern. Wenn er sich geweigert hätte, diese entscheidende Rolle in diesem entscheidenden Moment auszufüllen, hätten sie ihn in Stücke gerissen – und mit Recht: Er hätte sich als Schwindler erwiesen, der kein Anrecht auf den Thron hat. Der König war das Land. Wie hätte er auch nur erwarten können, dass es ohne ihn in die Schlacht zieht? Aber heute … Könnt ihr euch irgendeinen modernen Präsidenten oder Premierminister an vorderster Front vorstellen, wo er seine Männer in den Krieg führt, den er angefangen hat? Und wenn diese körperliche und mystische Verbindung gekappt ist, wenn der Herrscher nicht mehr bereit ist, sich für sein Volk zu opfern, dann ist er kein Herrscher mehr, sondern ein Blutegel, der andere zwingt, sich für ihn in Gefahr zu bringen, während er in sicherer Entfernung bleibt und sich an ihren Verlusten mästet. Krieg wird zu einer scheußlichen Abstraktion, zu einem Spiel, das Bürokraten auf Papier austragen. Soldaten und Zivilisten verkommen zu Schachfiguren, die zu Abertausenden für Gründe geopfert werden, die nicht in der Wirklichkeit verwurzelt sind. Wir werden von korrupten Usurpatoren regiert, wir alle, und was sie auch anfassen, es entsteht nur Sinnlosigkeit.«
    »Weißt du was?«, sagte ich und schaffte es, meinen Kopf ein paar Zentimeter vom Boden zu heben. »Ich versteh nur ungefähr ein Viertel von dem, was du da von dir gibst. Wie kannst du bloß dermaßen nüchtern sein?«
    »Er ist nicht nüchtern«, sagte Abby mit Genugtuung. »Wenn er sich ereifert und Sermone hält, ist er betrunken. Musst du doch inzwischen wissen. Daniel ist verknöchert.«
    »Das war kein Sermon«, sagte Daniel, aber er lächelte sie an, ein verschmitztes, blitzendes Grinsen. »Es war ein Monolog. Wenn Hamlet welche halten darf, wieso dann ich nicht?«
    »Hamlets Sermone versteh ich wenigstens«, sagte ich quengelig. »Größtenteils.«
    »Im Grunde sagt er nur«, schaltete Rafe sich ein, wobei er mir auf dem Kaminvorleger den Kopf zudrehte, so dass seine goldenen Augen nur Zentimeter von meinen entfernt waren, »dass Politiker überbewertet sind.«
    Das Picknick auf dem Berg, vor einigen Monaten, Rafe und ich, wie wir Daniel, als er wieder mal über irgendetwas schwadronierte, mit Erdbeeren bewarfen. Ich schwöre, ich erinnerte mich genau: an den Geruch der Meeresluft, die Erschöpfung in den Beinen vom Aufstieg. »Alles ist überbewertet außer Elvis und Schokolade«, verkündete ich, hob mein Glas bedenklich hoch über den Kopf und hörte Daniels spontanes, unwiderstehliches Lachen.
    Der Alkohol wirkte sich positiv auf Daniel aus. Er zauberte eine lebendige Röte auf seine Wangenknochen und ein Glimmen tief in seine Augen, lockerte seine Steifheit zu einer sicheren, animalischen

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