Totengleich
Eleganz. Normalerweise war Rafe die Augenweide im Haus, aber in jener Nacht konnte ich den Blick nicht von Daniel losreißen. Zurückgelehnt zwischen den Kerzenflammen und den satten Farben und dem zerschlissenen Brokat des Sessels, ein leuchtend rotes Glas in der Hand, das dunkle Haar bis tief in die Stirn, sah er selbst aus wie ein alter Kriegsführer: ein Kaiser in seinem Bankettsaal, schimmernd und verwegen, auf einem Fest zwischen den Schlachten.
Die Schiebefenster waren zum nächtlichen Garten hin geöffnet. Motten wirbelten im Licht, Schatten überkreuzten sich, eine weiche, feuchte Brise spielte mit den Vorhängen. »Es ist doch Sommer«, sagte Justin unvermittelt, verblüfft, und schoss vom Sofa hoch. »Spürt ihr den Wind? Der ist warm. Es ist Sommer. Kommt, los, ab nach draußen«, und er stand schnell auf, zog Abby im Vorbeigehen an einer Hand mit sich und kletterte durchs Fenster auf die Terrasse.
Der Garten war dunkel und duftend und lebendig. Ich weiß nicht, wie lange wir da draußen waren, unter einem riesigen Vollmond. Rafe und ich hielten uns an den verschränkten Händen und drehten uns auf der Wiese im Kreis, bis wir atemlos und kichernd umfielen, Justin schaufelte mit beiden Händen Weißdornblütenblätter in die Luft, so dass sie wie Schnee auf uns niederfielen, Daniel und Abby tanzten barfuß einen langsamen Walzer unter den Bäumen, wie ein geisterhaftes Liebespaar auf einem längst vergangenen Ball. Ich schlug Räder und Saltos quer über die Wiese, zum Teufel mit meiner imaginären Naht, zum Teufel damit, ob Lexie geturnt hatte, ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so betrunken gewesen war, und ich fand es wundervoll. Ich wollte noch tiefer hineintauchen und niemals mehr nach oben kommen, um Luft zu holen, ich wollte den Mund öffnen und tief einatmen und an dieser Nacht ertrinken.
Irgendwann zwischendurch verlor ich die anderen. Ich lag auf dem Rücken im Kräutergarten, roch zerdrückte Minze und blickte zu Millionen taumelnden Sternen hinauf, allein. Ich hörte schwach, dass Rafe meinen Namen rief, irgendwo vor dem Haus. Nach einer Weile rappelte ich mich hoch und ging ihn suchen, aber die Schwerkraft war irgendwie tückisch geworden und das Gehen ein schwieriges Unterfangen. Ich tastete mich an der Mauer entlang, ließ eine Hand über Zweige und Efeu gleiten; ich hörte Zweige unter meinen nackten Füßen knacken, spürte aber nicht den Anflug von Schmerz.
Die Wiese lag weiß im Mondlicht. Musik strömte aus den offenen Fenstern, und Abby tanzte für sich allein auf dem Gras, drehte sich langsam im Kreis, die Arme ausgebreitet und das Gesicht zum gewaltigen Nachthimmel gehoben. Ich blieb bei der Nische stehen, schwang mit einer Hand eine lange Efeuranke und schaute Abby zu: das bleiche Wirbeln und Senken des Rocks, die Drehung des Handgelenks, wenn sie ihn hob, die Wölbung ihres nackten Fußes, das verträumte trunkene Schwingen des Halses zwischen den flüsternden Bäumen.
»Ist sie nicht wunderschön?«, sagte eine leise Stimme hinter mir. Ich war so betrunken, dass ich nicht mal erschrak. Es war Daniel, auf einer der Steinbänke unter dem Efeu, ein Glas in der Hand und eine Flasche neben sich auf den Steinplatten. Die Mondschatten verwandelten ihn in eine Marmorstatue. »Ich glaube, wenn wir alle alt und grau sind und allmählich wegdämmern, selbst wenn ich alles vergessen habe, was mein Leben je ausgemacht hat, werde ich mich so an sie erinnern.«
Ein rascher schmerzlicher Stich durchfuhr mich, aber ich konnte nicht verstehen, warum. Es war viel zu kompliziert, zu weit weg. »Ich will diese Nacht auch in Erinnerung behalten«, sagte ich. »Ich will sie mir eintätowieren, damit ich sie nicht vergesse.«
»Komm her«, sagte Daniel. Er stellte sein Glas ab, rutschte auf der Bank zur Seite, um mir Platz zu machen, und hielt mir eine Hand hin. »Komm her. Wir werden noch unzählige Nächte haben wie diese. Du kannst sie dutzendweise vergessen, wenn du willst. Wir werden mehr davon machen. Wir haben alle Zeit der Welt.«
Seine Hand war warm, stark. Er zog mich nach unten auf die Bank, und ich lehnte mich gegen ihn, diese feste Schulter, den Duft nach Zedern und sauberer Wolle, alles schwarz und silbern und unstet, und das Wasser murmelte unentwegt zu unseren Füßen. »Als ich dachte, wir hätten dich verloren«, sagte Daniel, »war es … « Er schüttelte den Kopf, holte rasch Luft, wie ein Keuchen. »Du hast mir gefehlt. Du ahnst gar nicht, wie sehr. Aber
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