Totengleich
jetzt ist es gut. Alles wird gut.«
Er wandte sich mir zu. Seine Hand hob sich, Finger fassten in mein Haar, rau und zärtlich, glitten nach unten über meine Wange, malten die Kontur meiner Lippen nach.
Die Lichter des Hauses kreisten verschwommen und magisch wie die Lichter eines Karussells, ein heller, singender Ton hing über den Bäumen, der Efeu tanzte nach den Klängen einer Musik, die so süß war, dass ich es kaum ertragen konnte, und das Einzige, was ich in diesem Leben wollte, war hierbleiben. Das Mikro und den Draht abnehmen, in einen Umschlag stecken und per Post an Frank schicken und weg sein, leicht wie ein Vogel mein altes Leben abstreifen und hierher heimkehren. Wir wollten dich nicht verlieren, du Dussel, die anderen würden glücklich sein, und sie würden es nie erfahren müssen, solange wir lebten. Ich hatte ebenso viel Recht dazu wie die Tote, ich war ebenso sehr Lexie Madison, wie sie es je gewesen war. Mein Vermieter würde meine scheußlichen Büroklamotten in Müllsäcke stopfen, wenn die Miete ausblieb, da war nichts, was ich noch brauchen würde. Kirschblüten, die sanft auf die Zufahrt fielen, der stille Geruch alter Bücher, Feuerschein flackernd in den Eiskristallen an den Fensterscheiben zur Weihnachtszeit, und nichts würde sich je ändern, nur wir fünf in diesem von Mauern geschützten Garten, unendlich. Irgendwo im Hinterkopf schlug eine Trommel beschwörend ein Gefahrensignal, aber ich wusste, wie in einer Vision, dass das hier der Grund war, warum die Tote Abertausende von Meilen weit gereist war, um mich zu finden, das hier war von jeher der Grund für Lexie Madison gewesen: Sie hatte auf ihren Moment gewartet, um die Hand auszustrecken und meine zu ergreifen, mich die Steintreppe hinauf und durch diese Tür zu führen, nach Hause. Daniels Mund schmeckte nach Eis und Whiskey.
Wenn ich darüber nachgedacht hätte, hätte ich in Daniel einen ziemlich schlechten Küsser vermutet, irgendwie zu pedantisch. Seine Leidenschaft raubte mir den Atem. Als wir uns voneinander lösten, ich weiß nicht, wie viel später, schlug mein Herz wie verrückt.
Und jetzt , dachte ich mit einem klitzekleinen klaren Tropfen Verstand. Was passiert jetzt?
Daniels Mund, den ein winziges Lächeln umspielte, war ganz nah an meinem. Seine Hände lagen auf meinen Schultern, die Daumen fuhren sacht über die Linie meines Schlüsselbeins.
Frank hätte nicht mit der Wimper gezuckt. Ich kenne Undercovercops, die mit Gangstern ins Bett gegangen sind, die Leute zusammengeschlagen und sich Heroin gespritzt haben, alles im Namen des Jobs. Ich habe nie etwas gesagt, es ging mich nichts an, aber ich wusste, dass das Quatsch war. Es gibt immer noch einen anderen Weg, dein Ziel zu erreichen, wenn du bereit bist, ihn zu suchen. Sie haben diese Dinge getan, weil sie sie tun wollten und weil der Job ihnen eine Entschuldigung dafür lieferte.
In derselben Sekunde sah ich Sams Gesicht vor mir, die Augen groß und fassungslos, so klar, als stünde er direkt neben Daniel. Sein Blick hätte mich vor Scham zusammenfahren lassen müssen, aber ich spürte nur pure Frustration in mir aufwallen und so wild über meinem Kopf zusammenschlagen, dass ich schreien wollte. Er war wie ein riesengroßes Federbett, das mein Leben umhüllte und mich erstickte mit Urlaubsreisen und beschützenden Fragen und einer sanften, unerbittlichen Wärme. Ich wollte ihn mit einem einzigen ungestümen Ruck abwerfen und einen tiefen Zug kalte Luft einatmen, wieder ganz ich selbst.
Am Ende rettete mich das Mikro. Nicht das, was es empfangen könnte, so klar dachte ich nicht mehr, sondern Daniels Hände: Seine Daumen waren etwa fünf Zentimeter vom Mikro entfernt, das zwischen meinen Brüsten am BH klemmte. Von einem Schlag auf den anderen war ich wieder stocknüchtern. Ich war fünf Zentimeter davon entfernt, enttarnt zu werden.
»Sieh an, sieh an«, sagte ich, um Zeit zu schinden, und lächelte Daniel leicht an. »Es sind doch immer die Stillen.«
Er rührte sich nicht. Ich meinte, etwas in seinen Augen aufflackern zu sehen, konnte aber nicht erkennen, was. Mein Gehirn schien sich festgefahren zu haben: Ich hatte keine Ahnung, wie sich Lexie hier rausgeredet hätte. Und mich beschlich das böse Gefühl, dass sie es nicht getan hätte. Im Haus ertönte ein Krachen, die Terrassentür flog auf, und jemand kam herausgestürzt. Rafes schreiende Stimme war zu hören. »– du immer so ein Riesentheater wegen jeder Kleinigkeit machen musst –«
»Mein
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