Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
Vom Netzwerk:
ausdruckslos aus, blind. »Es gibt ein spanisches Sprichwort«, sagte er, »das mich immer fasziniert hat. ›Nimm, was du willst, und bezahl dafür, sagt Gott.‹«
    Die Worte fielen in die Stille unter dem Efeu wie kühle Kieselsteine in Wasser, versanken, ohne eine einzige Welle zu erzeugen. »Ich glaube nicht an Gott«, sagte Daniel, »aber ich finde, dieser Satz hat etwas ganz eigenes Göttliches, eine Art strahlende Reinheit. Was könnte es Einfacheres oder Wesentlicheres geben? Du kannst alles haben, was du willst, solange du akzeptierst, dass es einen Preis hat und dass du ihn bezahlen musst.«
    Er setzte die Brille wieder auf und blickte mich seelenruhig an, steckte das Taschentuch zurück in die Hemdtasche. »Ich hab den Eindruck«, sagte er, »wir als Gesellschaft übersehen heutzutage die zweite Bestimmung. Wir hören bloß, ›Nimm, was du willst, sagt Gott‹, niemand spricht mehr von einem Preis, und wenn die Rechnung schließlich beglichen werden muss, sind alle empört. Das deutlichste Beispiel ist der wirtschaftliche Höhenflug in unserem Land: Dafür zahlen wir einen Preis, und zwar einen sehr hohen, wie ich meine. Wir haben Sushi-Bars und dicke Geländewagen, aber Leute in unserem Alter können sich keine Häuser oder Wohnungen in der Stadt leisten, wo sie aufgewachsen sind, so dass jahrhundertealte Gemeinwesen zerfallen wie Sandburgen. Die Leute sind täglich mehrere Stunden unterwegs, um zur Arbeit und wieder zurück zu kommen, Eltern sehen ihre Kinder kaum, weil sie Überstunden machen müssen, um über die Runden zu kommen. Wir haben keine Zeit mehr für Kultur – Theater machen dicht, schöne Häuser werden abgerissen, um Platz für Bürokomplexe zu schaffen. Und so weiter und so fort.«
    Er klang kein bisschen empört, nur konzentriert. »In meinen Augen ist das nichts, worüber man sich aufregen sollte«, sagte er, als er meinen Blick auffing. »Eigentlich sollte es niemanden überraschen. Wir haben genommen, was wir wollten, und wir zahlen dafür, und ich bin sicher, eine ganze Reihe von Leuten findet, dass das unterm Strich ein gutes Geschäft ist. Was mich hingegen überrascht ist, mit welcher Vehemenz dieser Preis verschwiegen wird. Die Politiker erzählen uns unermüdlich, dass wir in Utopia leben. Und wenn irgendwer mit einem Mindestmaß an Durchblick mal andeutet, dass die neue Glückseligkeit vielleicht nicht gratis ist, dann taucht dieser grässliche kleine Mann – wie heißt er noch gleich?, der Premierminister – im Fernsehen auf, nicht etwa, um uns klarzumachen, dass dieser Tribut ein Naturgesetz ist, sondern um heftig abzustreiten, dass er überhaupt existiert, und um uns wie Kinder dafür zu schelten, dass wir es erwähnt haben. Irgendwann konnte ich es nicht mehr ertragen und hab meinen Fernseher abgeschafft«, fügte er leicht mürrisch hinzu. »Wir sind eine Nation von Zahlungsunwilligen geworden, wir kaufen auf Kredit, und wenn die Rechnung ins Haus schneit, weigern wir uns vor lauter Empörung, überhaupt einen Blick darauf zu werfen.«
    Er schob sich die Brille mit einem Finger höher auf die Nase und blinzelte mich durch die Gläser an. »Ich habe immer akzeptiert«, sagte er schlicht, »dass es einen Preis zu zahlen gibt.«
    »Wofür?«, sagte ich. »Was willst du?«
    Daniel schwieg und überlegte – nicht was er antworten sollte, glaube ich, sondern wie er es mir am besten erklären konnte. »Am Anfang«, sagte er schließlich, »war die Frage eher, was ich nicht wollte. Lange vor meinem Examen war mir klargeworden, dass der übliche Deal – ein Minimum an Luxus im Austausch für meine Freizeit und Seelenruhe – für mich nicht in Frage kam. Ich war gewillt, mich mit einem bescheidenen Leben zu begnügen, wenn ich dafür der Tretmühle eines eintönigen Jobs entging. Ich war mehr als bereit, solche Sachen zu opfern wie neue Wagen, Strandurlaube und iPods.«
    Meine Nerven waren bereits zum Zerreißen gespannt, und bei der Vorstellung, wie Daniel an einem Strand von Torremolinos lag, in der Hand einen knallbunten Cocktail, und zu der Musik aus seinem iPod mit dem Kopf wippte, hätte ich fast einen Lachanfall bekommen. Er sah mit einem schwachen Lächeln zu mir hoch. »Es wäre kein großes Opfer gewesen, nein. Aber ich hatte nicht bedacht, dass der Mensch nun mal keine Insel ist; dass ich nicht einfach aus der vorherrschenden Seinsweise aussteigen konnte. Wenn ein bestimmter Deal innerhalb einer Gesellschaft zum Standard wird – sozusagen die kritische Masse

Weitere Kostenlose Bücher