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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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schützend um die Flamme legte, war nachdenklich und ruhig.
    »Nun denn«, sagte er, als er auch seine Zigarette angezündet und das Etui wieder eingesteckt hatte, »ich bin sicher, du würdest mir gern ein paar Fragen stellen.«
    »Wenn ich Lexie so ähnlich bin«, sagte ich, »wodurch hab ich mich verraten?« Ich konnte nicht anders. Das hatte nichts mit professionellem Stolz zu tun; ich musste einfach unbedingt wissen, was der unübersehbare Unterschied gewesen war.
    Daniel wandte den Kopf und sah mich an. In seinem Gesicht lag ein Ausdruck, den ich nicht erwartet hatte: etwas, das an Zuneigung grenzte, oder Mitgefühl. »Du hast deine Sache unglaublich gut gemacht«, sagte er freundlich. »Selbst jetzt glaub ich nicht, dass die anderen irgendeinen Verdacht haben. Wir müssen entscheiden, was wir in der Hinsicht tun, du und ich.«
    »So gut hab ich meine Sache wohl doch nicht gemacht«, sagte ich, »sonst säßen wir nicht hier.«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube, das würde uns beide unterbewerten, meinst du nicht auch? Du warst praktisch fehlerlos. Ich wusste, fast vom ersten Augenblick an, dass irgendetwas nicht stimmt – wir alle wussten es, so wie man spüren würde, dass irgendwas nicht in Ordnung ist, wenn der eigene Partner durch seinen eineiigen Zwilling ersetzt würde. Aber dafür gab es so viele mögliche Erklärungen. Zuerst hab ich mich gefragt, ob du die Amnesie vielleicht vortäuschst, aus persönlichen Gründen, aber nach und nach wurde klar, dass dein Gedächtnis tatsächlich beeinträchtigt war – zum Beispiel gab es keinen ersichtlichen Grund, warum du so tun solltest, als hättest du vergessen, dass du das Fotoalbum gefunden hattest, und es war klar, dass du ehrlich verstört warst, weil du dich nicht dran erinnern konntest. Sobald ich überzeugt war, dass das nicht das Problem war, dachte ich, du hättest vielleicht vor, uns zu verlassen – was verständlich gewesen wäre, unter den gegebenen Umständen, aber Abby war sich ganz sicher, dass das nicht deine Absicht war, und ich vertraue Abbys Urteilsvermögen. Und du hast wirklich … «
    Sein Gesicht drehte sich mir zu. »Du hast wirklich glücklich gewirkt, weißt du. Mehr als glücklich: zufrieden, zur Ruhe gekommen. Wieder geborgen in unserer Mitte, als wärst du nie weg gewesen. Vielleicht war das Absicht, und du bist in deinem Job sogar noch besser, als ich vermute, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass meine und Abbys Instinkte so danebengelegen haben.«
    Ich konnte nichts dazu sagen. Für einen Sekundenbruchteil wollte ich mich ganz klein zusammenrollen und aus Leibeskräften losheulen, wie ein Kind, das an der Unbarmherzigkeit dieser Welt schier verzweifelt. Ich neigte nur unverbindlich das Kinn, zog an meiner Zigarette und schnippte Asche auf die Steinplatten.
    Daniel wartete mit einer ernsten Geduld, bei der mich ein leises, warnendes Frösteln durchlief. Als klar war, dass ich nicht antworten würde, nickte er kaum merklich, in sich gekehrt, nachdenklich. »Wie dem auch sei«, sagte er, »ich kam zu dem Schluss, dass dein, genauer gesagt Lexies Trauma der Grund sein musste. Ein so tiefes Trauma – und das war es ja nun wirklich – kann den Charakter eines Menschen völlig verändern, kann einen starken Menschen in ein zitterndes Wrack verwandeln, eine Frohnatur melancholisch machen, ein sanftes Gemüt bösartig. Es kann dich in tausend Stücke zerschmettern und die Überreste so wieder zusammensetzen, dass man nicht wiederzuerkennen ist.«
    Seine Stimme war gleichmäßig, ruhig. Er schaute wieder von mir weg, hinaus zu den Weißdornblüten, weiß und bebend im leichten Wind, und ich konnte seine Augen nicht sehen. »Die Veränderungen bei Lexie waren so minimal, vergleichsweise, so trivial, so leicht erklärlich. Ich nehme an, Detective Mackey hat dir alle Informationen gegeben, die du brauchtest.«
    »Detective Mackey und Lexie. Die Handyvideos.«
    Daniel dachte so lange darüber nach, dass ich glaubte, er hätte meine Frage vergessen. Sein Gesicht hatte eine eingebaute Reglosigkeit an sich – die kantige Kinnpartie vielleicht –, so dass es nahezu unmöglich zu deuten war. »›Alles ist überbewertet, außer Elvis und Schokolade‹«, sagte er schließlich. »Das war clever.«
    »Haben mich die Zwiebeln verraten?«, fragte ich.
    Er holte Luft und bewegte sich, tauchte aus seiner Versunkenheit auf. »Die Zwiebeln«, sagte er mit einem schwachen Lächeln. »Lexie konnte zwei Sachen nicht ausstehen: Zwiebeln und

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