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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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haben, was sie hält. Sie haben noch nicht genug angesammelt, geliebte Menschen und Verantwortungen und Verpflichtungen und all die Dinge, die uns fest mit dieser Welt verbinden. Sie können sich so mühelos von ihr lösen, wie man einen Finger hebt. Aber je älter du wirst, desto mehr Dinge findest du, die es wert sind, sie festzuhalten, für immer. Mit einem Mal willst du etwas für dich bewahren, und das verändert dich von Grund auf.«
    Ob es am Adrenalin lag oder an dem seltsam flirrenden Licht durch den Efeu oder an Daniels verschlungenen Gedankengängen oder einfach nur an der völlig abstrusen Situation, jedenfalls hatte ich irgendwie das Gefühl, getrunken zu haben. Ich dachte an Lexie, wie sie in Chads gestohlenem Wagen durch die Nacht raste, an Sams Gesicht mit diesem Ausdruck entsetzlicher Geduld, an das Morddezernat im Abendlicht, unsere Schreibtische übersät mit dem Papierkram anderer Teams; an meine Wohnung, leer und still, wo sich allmählich Staub auf den Bücherregalen sammelte und das Standby-Lämpchen am CD-Player grün im Dunkeln leuchtete. Ich mag meine Wohnung sehr, aber plötzlich wurde mir klar, dass ich sie in den letzten Wochen nicht eine Sekunde vermisst hatte, und das machte mich irgendwie furchtbar und bodenlos traurig.
    »Ich vermute mal«, sagte Daniel, »dass du noch immer diese erste Freiheit hast – dass du noch nichts gefunden hast, woran du für immer festhalten willst, auch noch keinen Menschen.«
    Ruhige graue Augen und der hypnotische goldene Schimmer des Whiskeys, das Geräusch von Wasser, die Laubschatten, die wie ein dunklerer Kranz auf seinem dunklen Haar schwankten. »Ich hatte mal einen Partner«, sagte ich, »bei der Arbeit. Du bist ihm nicht begegnet, er arbeitet nicht an diesem Fall. Wir waren wie ihr: Wir passten zusammen. Die anderen haben über uns geredet wie über Zwillinge, als wären wir ein und dieselbe Person – ›Das ist MaddoxundRyans Fall, setzt MaddoxundRyan drauf an … ‹ Wenn mich irgendwer gefragt hätte, hätte ich gesagt, das ist es: Wir zwei bleiben ein Team bis ans Ende unserer Laufbahn, wir gehen am selben Tag in Rente, damit keiner von uns mit einem anderen zusammenarbeiten muss, und die Abteilung schenkt uns zum Abschied eine goldene Uhr für uns beide. Aber damals hab ich keinen Gedanken an so was verschwendet. Es war einfach selbstverständlich für mich. Ich konnte mir gar nichts anderes vorstellen.«
    Ich hatte das noch nie jemandem erzählt. Sam und ich hatten Rob nie erwähnt, nicht ein einziges Mal, seit er versetzt worden war, und wenn ich gefragt wurde, wie es ihm ging, setzte ich mein nettestes Lächeln auf und antwortete so vage wie möglich. Daniel und ich waren uns fremd, wir waren Gegner, und unter dem höflichen Geplauder bekämpften wir einander mit Zähnen und Klauen, und das wussten wir beide, aber ihm hatte ich es erzählt. Heute glaube ich, das hätte meine erste Warnung sein müssen.
    Daniel nickte. »Aber das ist aus und vorbei«, sagte er, »Schnee von gestern.«
    »Könnte man so sagen«, sagte ich, »ja.« Er sah mich an, und es lag etwas in seinen Augen, das über Güte hinausging, über Mitgefühl: Verständnis. Ich glaube, in diesem Moment liebte ich ihn. Wenn ich den ganzen Fall hätte abgeben und bleiben können, ich hätte es getan.
    »Verstehe«, sagte Daniel. Er hielt mir das Glas hin. Ich schüttelte automatisch den Kopf, doch dann überlegte ich es mir anders und nahm es: egal. Der Whiskey war stark und mild, und er brannte mir Lichtspuren bis hinein in die Fingerspitzen.
    »Dann wirst du verstehen, wie umwälzend es für mich war«, sagte er, »die anderen kennenzulernen. Die Welt um mich herum verwandelte sich: Die Einsätze schnellten in die Höhe, die Farben waren so schön, dass es weh tat, das Leben wurde fast unvorstellbar angenehm und fast unvorstellbar beängstigend. Es ist so zerbrechlich, weißt du, alles kann so leicht kaputtgehen. Ich schätze, so ähnlich ist es, wenn man sich verliebt oder ein Kind bekommt, wenn man weiß, es kann einem jeden Augenblick wieder weggenommen werden. Wir rasten mit halsbrecherischem Tempo auf den Tag zu, an dem alles, was wir hatten, von der Gnade einer gnadenlosen Welt abhängen würde, und jede Sekunde war so wunderschön und unsicher, dass es mir den Atem verschlug.«
    Er streckte die Hand nach dem Glas aus und trank einen Schluck. »Und dann«, sagte er, mit einer geöffneten Hand in Richtung Haus deutend, »wurde uns das da beschert.«
    »Wie durch ein

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