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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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sich zu nehmen.«
    »Und das hast du getan«, sagte ich. Mir war, als würde die Steinbank unter mir zusammen mit dem Efeu schwanken, in einem langsamen, schwindelerregenden Rhythmus. »Du hast es bereitwillig akzeptiert.«
    »Allerdings, ja«, sagte Daniel. »Ich habe genau gesehen, welche Folgen das haben würde, glasklar. Ich hatte im Vorhinein alles durchdacht, ehe ich mich auf diese Sache einließ, und ich war zu dem Schluss gelangt, dass es sich lohnen würde, den Preis zu zahlen – ich bezweifele ohnehin, dass ich jemals Kinder hätte haben wollen, und ich habe noch nie an den einen seelenverwandten Menschen geglaubt. Ich ging davon aus, dass die anderen das Gleiche gemacht hatten, dass sie den Einsatz abgeschätzt hatten und zu dem Schluss gekommen waren, dass sich das Opfer lohnen würde.« Er hob das Glas an die Lippen und trank einen Schluck. »Das«, sagte er, »war mein erster Fehler.«
    Er war so ruhig. In dem Moment registrierte ich es nicht, erst viel später, als ich das Gespräch noch einmal Revue passieren ließ, auf der Suche nach Hinweisen, fiel es mir auf: war , hatte . Daniel sprach die ganze Zeit in der Vergangenheit. Er wusste, dass es vorbei war, auch wenn das vielleicht noch niemand sonst gemerkt hatte. Er saß da unter dem Efeu mit einem Glas in der Hand, abgeklärt wie ein Buddha, und sah zu, wie der Bug seines Schiffes sich neigte und in den Wellen versank.
    »Hatten sie es nicht richtig durchdacht?«, fragte ich. Mein Verstand glitt noch immer schwerelos dahin, alles war glatt wie Glas, und ich bekam mich einfach nicht in den Griff. Eine Sekunde lang durchschoss mich der verrückte Gedanke, ob Daniel etwas in den Whiskey gemischt hatte, aber er hatte deutlich mehr getrunken als ich, und er wirkte ganz normal – »Oder haben sie es sich anders überlegt?«
    Daniel massierte sich mit Zeigefinger und Daumen den Nasenrücken. »Wenn ich richtig drüber nachdenke«, sagte er ein wenig müde, »hab ich im Laufe der Zeit erstaunlich viele Fehler gemacht. Diese Geschichte mit der Unterkühlung zum Beispiel: Darauf hätte ich nicht reinfallen dürfen. Am Anfang bin ich das auch nicht. Ich versteh nicht viel von Medizin, aber als dein Kollege – Detective Mackey – mir die Geschichte erzählte, hab ich ihm kein Wort geglaubt. Ich nahm an, dass er darauf hoffte, wir würden vielleicht redseliger, wenn wir glaubten, es ginge um Körperverletzung und nicht um Mord und dass Lexie ihm jeden Moment alles erzählen könnte. Die ganze Woche lang ging ich fest davon aus, dass das ein Bluff von ihm war. Aber dann … « Er hob den Kopf und sah mich an, blinzelte, als hätte er fast vergessen, dass ich da war. »Aber dann, na ja«, sagte er, »dann bist du aufgetaucht.«
    Seine Augen glitten über mein Gesicht. »Die Ähnlichkeit ist wirklich verblüffend. Bist du – warst du – mit Lexie verwandt?«
    »Nein«, sagte ich. »Nicht, dass ich wüsste.«
    »Nein.« Daniel ging systematisch seine Taschen durch, holte sein Zigarettenetui und ein Feuerzeug hervor. »Sie hat uns erzählt, sie hätte keine Familie. Vielleicht bin ich deshalb nicht darauf gekommen, dass du eine Doppelgängerin sein könntest. Das Unwahrscheinliche an der ganzen Situation war dein großer Vorteil: Jeder Verdacht, du könntest nicht Lexie sein, hätte auf der beinahe absurden Hypothese deiner Existenz beruhen müssen. Ich hätte an Conan Doyle denken sollen: › … das, was übrig bleibt, muss die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich es auch scheinen mag.‹«
    Er schnippte das Feuerzeug an und neigte den Kopf über die Flamme. »Ich wusste nämlich«, sagte er, »dass Lexie unmöglich am Leben sein konnte. Ich hab ihr selbst den Puls gefühlt.«
    Der Garten verschreckt, im verblassenden goldenen Licht. Die Vögel verstummt, die schwingenden Zweige mitten in der Bewegung erstarrt, das Haus, eine gewaltige Stille, die lauschend über uns hing. Ich hatte aufgehört zu atmen. Lexie kam über das Gras geweht wie ein silbriger Windstoß, sie wiegte sich in den Weißdornbäumen und balancierte leicht wie ein Blatt auf der Mauer neben mir, sie glitt an meiner Schulter entlang und brannte mir den Rücken hinunter.
    »Was ist passiert?«, fragte ich ganz leise.
    »Also wirklich«, sagte Daniel, »du weißt genau, dass ich dir das nicht erzählen kann. Wie du dir vermutlich schon gedacht hast, ist Lexie im Haus mit dem Messer verletzt worden, in der Küche, um genau zu sein. Ihr werdet kein Blut finden – sie hat nicht geblutet, als es

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