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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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tut. Das wäre natürlich kein Weltuntergang gewesen – er kann nichts liefern, was einen klaren Beweis darstellen würde –, aber er hätte bei uns ganz schön Ärger und Anspannung auslösen können, und das konnten wir am allerwenigsten gebrauchen. Außerdem hatte ich keine Möglichkeit, ihn einzuschätzen, mir einen Eindruck zu verschaffen, was in seinem Kopf vor sich ging, oder den Versuch zu machen, ihn von der Katastrophe wegzudirigieren. Lexie – dich – konnte ich im Auge behalten, halbwegs, aber Ned … Ich wusste, es wäre ein Riesenfehler, mich mit ihm in Verbindung zu setzen, aber, bei Gott, ich musste mich furchtbar zusammenreißen, es nicht trotzdem zu tun.«
    Ned war gefährliches Terrain. Ich wollte nicht, dass Daniel zu viel über ihn nachdachte, über meine Spaziergänge, über die Möglichkeiten. »Du musst stinkwütend gewesen sein«, sagte ich. »Ihr alle, auf die beiden. Überrascht mich nicht, dass einer mit dem Messer auf sie los ist.« Ich meinte es ernst. In vielerlei Hinsicht war es erstaunlich, dass Lexie es überhaupt bis dahin geschafft hatte.
    Daniel dachte darüber nach. Sein Gesicht sah genauso aus wie abends im Wohnzimmer, wenn er in ein Buch vertieft war, der Welt entrückt. »Wir waren wütend«, sagte er, »zunächst. Zornig, am Boden zerstört, fühlten uns sabotiert, von unseren eigenen Leuten. Aber weißt du, irgendwie hat dir das, was dich am Ende verraten hat, am Anfang genützt: der entscheidende Unterschied zwischen Lexie und dir. Nur jemand wie Lexie – jemand ohne ein Konzept von Handlung und ihren Folgen – wäre imstande gewesen, nach Hause zu kommen und weiter mit uns zusammenzuleben, als wäre nie was gewesen. Wenn sie ein minimal anderer Mensch gewesen wäre, dann hätte keiner von uns ihr je verzeihen können, und du hättest es niemals durch die Tür geschafft. Aber Lexie … Wir alle wussten, dass sie nicht für eine Sekunde die Absicht gehabt hatte, uns zu verletzen, und deshalb war ihr tatsächlich auch gar nicht der Gedanke gekommen, wir könnten verletzt sein. Das Unheil, das sie da beinahe angerichtet hätte, war ihr ehrlich nie real erschienen. Und deshalb … « Er tat einen langen, müden Atemzug. »Und deshalb«, sagte er, »konnte sie wieder nach Hause kommen.«
    »Als wäre nichts gewesen«, sagte ich.
    »So hab ich das gesehen. Sie hatte uns nicht weh tun wollen, keiner von uns hatte ihr weh tun wollen, geschweige denn sie töten. Ich glaube noch immer, dass das ins Gewicht fallen sollte.«
    »Das hab ich mir gedacht«, sagte ich. »Dass es einfach passiert ist. Sie hatte eine Weile mit Ned verhandelt, aber ehe sie sich endgültig einigen konnten, seid ihr vier irgendwie dahintergekommen.« In Wahrheit hatte ich schon eine leise Ahnung, wie das abgelaufen war, aber das musste Daniel noch nicht erfahren. Das wollte ich mir für die Gelegenheit aufsparen, wenn es den lautesten Knall erzeugen würde. »Ich glaube, ihr habt euch fürchterlich gestritten, und mittendrin hat einer von euch zugestochen. Wahrscheinlich hat keiner, nicht mal die zwei, richtig mitgekriegt, was passiert war. Lexie hat vielleicht sogar gedacht, sie hätte bloß einen Schlag abbekommen. Sie ist abgehauen und zum Cottage gelaufen – vielleicht war sie in der Nacht mit Ned verabredet, vielleicht aus blindem Instinkt, keine Ahnung. Wie auch immer, Ned ist nicht erschienen. Gefunden habt ihr sie.«
    Daniel seufzte. »So ungefähr«, sagte er, »ja. Im Wesentlichen ist es so abgelaufen. Kannst du es nicht dabei belassen? Du kennst die entscheidenden Fakten, die übrigen Einzelheiten würden niemandem auch nur im Geringsten nützen und einer Reihe von Leuten erheblich schaden. Sie war liebenswert, sie war kompliziert, und sie ist tot. Was ist jetzt sonst noch von Belang?«
    »Nun ja«, sagte ich. »Da wäre die Frage, wer sie getötet hat.«
    »Hast du dich mal gefragt«, entgegnete Daniel, und in seiner Stimme schwang wachsende Erregung mit, »ob Lexie selbst wollen würde, dass du der Sache nachgehst? Egal, was sie plante, sie hat uns geliebt. Glaubst du, sie würde wollen, dass du alles daransetzt, uns zu zerstören?«
    Etwas Regloses spannte die Luft, wellte die Steine unter meinen Füßen, etwas Hohes, Nadelspitzes vor dem Himmel und flimmernd hinter jedem Blatt. »Sie hat mich gefunden«, sagte ich. »Ich hab nicht nach ihr gesucht. Sie wollte mich.«
    »Mag sein«, sagte Daniel. Er beugte sich zu mir herüber, ganz nah, die Ellbogen auf die Knie gestützt. Seine Augen

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