Totengleich
passiert ist, erst später, wie ich weiß –, und ihr werdet das Messer nicht finden. Es war kein Vorsatz und keine Tötungsabsicht im Spiel. Wir sind ihr nach, aber als wir sie fanden, war es bereits zu spät. Ich denke, mehr kann ich nicht sagen.«
»Okay«, sagte ich. »Okay.« Ich presste die Füße fest auf die Platten und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Am liebsten hätte ich eine Hand in den Teich getaucht und mir kaltes Wasser in den Nacken geklatscht, aber nicht vor Daniels Augen, und ich hatte ohnehin Zweifel, dass es etwas bringen würde. »Willst du hören, was meiner Ansicht nach passiert ist?«
Daniel neigte den Kopf und machte eine kleine höfliche Handbewegung. Bitte sehr .
»Ich glaube, Lexie hatte vor, ihren Anteil am Haus zu verkaufen.«
Er sprang nicht darauf an, zuckte nicht mal mit der Wimper. Er beobachtete mich ausdruckslos, wie ein Professor in einer mündlichen Prüfung, schnippte die Asche von seiner Zigarette gezielt ins Wasser, wo sie weggespült werden würde.
»Und ich meine auch zu wissen, warum.«
Ich war sicher, dass ich ihn damit kriegen würde, absolut sicher – seit einem Monat schon musste ihn diese Frage quälen –, aber er schüttelte den Kopf. »Ich muss es nicht wissen«, sagte er. »Es ist wirklich nicht wichtig, jetzt nicht mehr – falls es überhaupt jemals wichtig war. Weißt du, ich glaube, wir haben alle fünf eine skrupellose Ader, jeder auf seine Art. Vielleicht gehört das einfach dazu, wenn man einmal den Schritt gewagt hat, genau zu wissen, was man will. Lexie konnte sehr skrupellos sein, keine Frage. Aber nicht grausam. Bitte vergiss das nicht, wenn du über sie nachdenkst. Sie war niemals grausam.«
»Sie wollte an deinen Cousin Ned verkaufen«, sagte ich. »Mr Luxuswohnungen persönlich. Das hört sich für mich ganz schön grausam an.«
Daniel lachte zu meiner Verblüffung auf, ein heftiges, freudloses kurzes Schnauben. »Ned«, sagte er, mit einem gequälten Zucken der Mundwinkel. »Du liebe Zeit. Er hat mir wesentlich mehr Sorgen gemacht als Lexie. Lexie war eigensinnig – genau wie du: Wenn sie beschlossen hätte, der Polizei zu sagen, was passiert war, dann hätte sie das auch gemacht, aber wenn sie nicht reden wollte, hätte man sie noch so lange verhören können, es hätte keiner was aus ihr rausgekriegt. Ned dagegen … «
Er seufzte, ein gereiztes Ausatmen, das Rauch aus seiner Nase strömen ließ, und schüttelte den Kopf. »Ned hat nicht etwa einen schwachen Charakter«, sagte er, »er hat überhaupt keinen Charakter. Er ist im Grunde eine Null, ein zusammengewürfelter Haufen von Spiegelungen dessen, was andere Leute, wie er meint, sehen wollen. Worüber wir vorhin sprachen, dass man wissen sollte, was man will … Ned war besessen von dem Plan, das Haus in Luxuswohnungen umzuwandeln oder in einen Golf club, er kam andauernd mit irgendwelchen komplizierten Hochrechnungen an, wie viel hunderttausend Euro jeder von uns im Laufe von wie vielen Jahren machen könnte, aber er hatte keine Ahnung, warum er es machen wollte. Keinen Schimmer. Als ich ihn gefragt hab, was er eigentlich mit dem ganzen Geld anfangen will – er lebt schließlich auch jetzt nicht gerade am Existenzminimum –, da hat er mich angestarrt, als würde ich eine Fremdsprache sprechen. Die Frage war für ihn völlig unverständlich, Lichtjahre außerhalb seines Bezugssystems. Da gab es keinen sehnsüchtigen Wunschtraum, sagen wir, die Welt zu bereisen oder seinen Job hinzuschmeißen, damit er Zeit und Muße hätte, ein großes irisches Meisterwerk zu malen. Er wollte das Geld bloß, weil er nun mal in dieser Gesellschaft gelernt hat, dass Geld erstrebenswert ist. Er war absolut unfähig, sich vorzustellen, dass wir fünf andere Prioritäten haben könnten, Prioritäten, die wir uns ganz allein gesetzt hatten.«
Er drückte seine Zigarette aus. »Du kannst dir also denken«, sagte er, »warum ich seinetwegen besorgt war. Er hatte allen Grund der Welt, seine Verhandlungen mit Lexie für sich zu behalten – wenn er geplaudert hätte, hätte er sich das Geschäft abschminken können, und außerdem lebt er allein und hat, soweit ich weiß, kein Alibi. Selbst er muss erkannt haben, dass er damit der Hauptverdächtige gewesen wäre. Aber ich wusste, falls Mackey oder O’Neill ihn sich mal richtig vornehmen sollten, würde er auspacken. Er würde sich bei ihnen lieb Kind machen wollen, den hilfsbereiten Zeugen abgeben, den besorgten Bürger, der seine Pflicht
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