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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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lassen. Ich hatte die Verdächtigen auf vier eingegrenzt. Ab hier könnten Sam und Frank weitermachen. Dass dieses Gespräch nicht aufgenommen worden war, ließe sich plausibel erklären: Der Mikrodraht hatte sich versehentlich gelöst – Frank würde mir das vielleicht nicht so ganz abkaufen, aber das wäre ihm egal. Ich könnte die Teile des Gesprächs, die mir in den Kram passten, zu Protokoll geben, unbeschadet und triumphierend zurückkommen und mich beklatschen lassen.
    Ich dachte nicht mal daran, es so zu machen. »Den haben wir, ja«, sagte ich. »Ich kann mich innerhalb von ein paar Stunden hier rausholen lassen, ohne dass meine Tarnung auffliegt. Aber das werde ich nicht tun. Nicht, solange ich nicht weiß, wer Lexie getötet hat und warum.«
    Daniel wandte den Kopf und sah mich an, und in der Sekunde witterte ich Gefahr, klar und kalt wie Schnee. Ich war in sein Haus, seine Familie eingedrungen, und ich wollte beide zugrunde richten. Entweder er oder einer von seinen engsten Freunden hatte schon eine Frau umgebracht, weil sie das Gleiche im kleineren Umfang geplant hatte. Er war stark genug, es zu tun, und vermutlich auch clever genug, ungestraft davonzukommen, und ich hatte den Revolver in meinem Zimmer gelassen. Das Wasser murmelte zu unseren Füßen, und mir zischte ein Stromstoß durch den Rücken, bis in die Handflächen. Ich hielt seinem Blick stand und rührte mich nicht, blinzelte nicht einmal.
    Nach einer Weile bewegten sich seine Schultern, fast unmerklich, und ich sah, wie sein Blick sich nach innen wandte, sich mir entzog. Er hatte den Gedanken verworfen, er überlegte sich einen anderen Plan, sein Verstand ging Möglichkeiten durch, sortierte, klassifizierte, stellte Verbindungen her, schneller, als ich ahnen konnte. »Du hast keine Chance«, sagte er. »Du denkst, die Tatsache, dass ich den anderen nicht weh tun will, verschafft dir einen Vorteil – du denkst, dass du sie dazu bringen kannst, mit dir zu reden, wenn sie dich weiter für Lexie halten. Aber glaub mir, sie wissen alle ganz genau, was auf dem Spiel steht. Ich meine nicht die Möglichkeit, dass einer von uns oder wir alle ins Gefängnis müssen. Ihr habt keinerlei Beweise, sonst hättet ihr längst eine Verhaftung vorgenommen und euch dieses ganze Affentheater erspart. Ich würde sogar jede Wette eingehen, dass du dir bis vor ein paar Minuten nicht mal sicher warst, dass euer Täter hier im Haus zu suchen ist.«
    »Wir haben in alle Richtungen ermittelt«, sagte ich.
    Er nickte. »So wie die Dinge liegen, ist das Gefängnis unsere geringste Sorge. Aber betrachte die Situation doch aus Sicht der anderen. Also, Lexie ist quietschfidel und wieder sicher zu Hause. Aber wenn sie rausfinden würde, was passiert ist, würde das alles zerstören, worauf wir hingearbeitet haben. Mal angenommen, sie erfährt, dass Rafe, um wahllos einen von uns rauszupicken, sie niedergestochen hat – sie beinahe umgebracht hat. Glaubst du, sie könnte dann weiter mit ihm unter einem Dach leben – ohne Angst vor ihm zu haben, ohne ihn zu hassen, ohne ihm einen Strick daraus drehen zu wollen?«
    »Du hast doch vorhin gesagt, sie wäre nicht imstande gewesen, über die Vergangenheit nachzudenken«, sagte ich.
    »Tja, das hier ist ja wohl ein etwas anderes Kaliber«, sagte Daniel ein wenig bissig. »Er könnte wohl kaum erwarten, dass sie die Sache vergisst, als hätten sie sich darüber gestritten, wer vergessen hat, Milch einzukaufen. Und selbst wenn, glaubst du, er würde dann nicht jeden Tag bei ihrem Anblick das ständige Risiko sehen, das sie darstellt – dass ein Anruf von ihr bei Mackey oder O’Neill genügen würde, um ihn in den Knast zu bringen? Es geht um Lexie, wohlgemerkt: Sie könnte diesen Anruf machen, ohne auch nur ansatzweise über dessen Tragweite nachzudenken. Könnte er mit ihr umgehen, wie früher, mit ihr frotzeln, diskutieren, ihr gar widersprechen? Und was ist mit uns anderen? Wir würden wie auf Eiern gehen, in jeden Blick und in jedes Wort zwischen den beiden Gefahr hineinlesen, ständig damit rechnen, dass der kleinste Fehltritt die Mine zur Detonation bringt und alles in Stücke sprengt. Was glaubst du, wie lange wir das durchhalten würden?«
    Seine Stimme war ganz ruhig. Träge Rauchkringel stiegen von seiner Zigarette auf, und er hob den Kopf, um zuzusehen, wie sie sich verbreiterten und nach oben schlängelten, durch die flimmernden Streifen aus Licht. »Die Tat selbst können wir überstehen«, sagte er. »Aber das

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